Die Voraussetzungen für die landwirtschaftliche Produktion sind global extrem unterschiedlich.
So haben laut der Weltbank 65 Länder nicht genug fruchtbares Ackerland, um ihre Bevölkerung – selbst unter optimalen Bedingungen – zu ernähren. Die Auswirkungen des Klimawandels und die rasant wachsende Weltbevölkerung verschärfen den Druck auf die knappen und zudem ungleich verteilten Ressourcen.
Wie kann der Handel hier einen Ausgleich schaffen? Und wie muss er gestaltet werden, damit er eine sichere, vielfältige und nachhaltige Ernährung für alle Menschen ermöglicht? Diese Fragen standen im Zentrum des 12. Global Forum for Food and Agriculture (GFFA) im Rahmen der Internationalen Grünen Woche Berlin 2020.
Rund 2.000 Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft diskutierten vom 16. bis 18. Januar auf Einladung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft in 16 Fachpodien miteinander, informierten sich auf der GFFA-Innovationsbörse über neue Produkte und Dienstleistungen und fieberten beim „Science Slam“ mit den Wissenschaftlern mit. Das Leitthema lautete „Nahrung für alle – vielfältig, sicher und nachhaltig“.
Agrarpolitischer Dialog im globalen Kontext
„Das GFFA hat sich in den letzten zwölf Jahren als der agrarpolitische Dialog im internationalen Raum etabliert“, eröffnete der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Uwe Feiler, die dreitägige Konferenz. Als Beispiel nannte er den internationalen Digitalrat für Ernährung und Landwirtschaft, den die Welternährungsorganisation FAO in Berlin vorstellte. Mit der Erarbeitung des Konzepts war die UN-Organisation einer Bitte nachgekommen, die als Ergebnis des letztjährigen GFFA von Agrarministerinnen und -ministern aus 74 Nationen an sie herangetragen wurde. „Das ist ein schöner Beweis für die Wirksamkeit der Konferenz“, freute sich Feiler.
Die Staatssekretärin für Verbraucherschutz und Antidiskriminierung bei der Berliner Senatsverwaltung, Margit Gottstein, begrüßte die Tatsache, dass immer mehr Unternehmen auf verantwortungsvolle Lieferketten setzen und Aspekte wie die Einhaltung von Sozialstandards oder den Umwelt- und Klimaschutz in ihren Warenströmen berücksichtigen. Auch der Berliner Senat habe beschlossen, in der Gemeinschaftsverpflegung künftig möglichst viele regionale Produkte – ab 2021 mindestens zur Hälfte in Bio-Qualität – anzubieten. Zugleich betonte Gottstein, dass auch die Verbraucherinnen und Verbraucher durch ihre Kaufentscheidungen Handelsströme beeinflussen können. „Wir tragen alle Verantwortung“, mahnte die Staatssekretärin.
Das bestätigte auch der Geschäftsleiter Einkauf von Lidl Deutschland, Jan Bock. Um seinen Kunden zu garantieren, dass in den tierischen Produkten nur gentechnikfreie Futtermittel zum Einsatz kommen, unterstützt der Discounter – laut Bock Nummer eins in Europa und Nummer vier am Weltmarkt – den Anbau gentechnikfreien Sojas in Brasilien. Nicht immer bewahrheite sich der Verbraucherwunsch allerdings auch an der Kasse. So habe Lidl Deutschland im vergangenen Jahr geplant, nur noch Bananen aus fairem Handel anzubieten. „Die Konsumenten waren aber nicht bereit, den Aufpreis von zehn Cent pro Kilogramm zu zahlen“, berichtete der Einkaufschef; das Unternehmen musste wieder „reguläre“ Bananen ins Sortiment nehmen.
Nachhaltige Entwicklung im Fokus
Im Jahr 2015 haben die Vereinten Nationen die Agenda 2030 mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) verabschiedet. Das gemeinsame High Level Panel von Welthandels- (WTO) und Welternährungsorganisation (FAO) widmete sich der Frage, welchen Beitrag der Handel zum Erreichen von SDG 2 – eine Welt ohne Hunger und Mangelernährung – leisten kann. Dabei zeigte sich einmal mehr, dass der globale Warenaustausch ein zweischneidiges Schwert ist.
„Wir müssen 95 Prozent unserer Nahrungsmittel importieren“, sagte die Agrar- und Fischereiministerin der Malediven, Zaha Waheed. Die Bevölkerung des Inselstaats konnte nach dem Tsunami 2004 nur mit Hilfe des UN-Welternährungsprogramms (WFP) überleben. Für Arbeitsplätze und Einkommen sorgt der Fischfang, der ein Fünftel des Proteinbedarfs der Bevölkerung deckt und auch Exportmärkte bedient. Die EU verlange hier Einfuhrsteuern von 28 Prozent. Dieselben Regeln würden für Länder gelten, die nicht so nachhaltig produzierten. „Sollen wir ökologisch und ‚grün‘ sein, muss sich das auch im Wettbewerb zeigen“, forderte die Ministerin.
„Wenn wir SDG 2 erreichen wollen, brauchen wir keinen gleichen, sondern einen gleichberechtigten Handel“, zeigte sich Ertharin Cousin, Distinguished Fellow beim Chicago Council on Global Affairs, überzeugt. Die frühere Exekutivdirektorin des Welternährungsprogramms erinnerte daran, dass Lebensmittelimporte in Entwicklungsländern häufig aus hochkalorischen Produkten bestehen und so zur Fehlernährung beitragen; das Problem der Fettsucht, das auch immer mehr Menschen in armen Ländern betrifft, gehe häufig mit geringer Kaufkraft einher. Deshalb sei es wichtig, Investitionen in Nahrungsmittelsysteme zu fördern, die lokale Arbeitsplätze schaffen und für Vielfalt in der Ernährung sorgen.
Der stellvertretende Generaldirektor der WTO, Alan Wolff, gab zu bedenken, dass internationale Agrarhandelsbeziehungen nicht nur Lebensmittel betreffen, sondern beispielsweise auch technische Ausrüstung, etwa für Bewässerung, oder Dienstleistungen, beispielsweise Ernteversicherungen. „Handel kann viel kompensieren, etwa Ausfälle, wie sie jetzt durch die Buschfeuer in Australien entstehen“. Zudem erinnerte Wolff an die Tatsache, dass der Grund Nummer eins für die Aufnahme internationaler Handelsvereinbarungen die Friedenssicherung war – „Seine Kunden bekämpft man nicht“, so die Weisheit, auf der die WTO-Gründung fußt.
High Level Panels der Europäischen Union
Das Potenzial des Agrar- und Lebensmittelhandels für die Ernährungssicherung und Wirtschaftsentwicklung in Afrika stand im Mittelpunkt des High Level Panels der Europäischen Union. In der Malabo-Erklärung der Afrikanischen Union (AU) vom Juni 2014 haben sich die afrikanischen Länder verpflichtet, den innerafrikanischen Handel bis 2025 zu verdreifachen. Außerdem ist für 2020 die Schaffung eines afrikanischen Binnenmarktes durch eine Freihandelszone geplant. Die 55 Staaten der AU sind in fünf Regionen eingeteilt; künftig soll der komparative Vorteil jeder einzelnen Region für den Handel verstärkt zum Tragen kommen.
„Ohne den innerafrikanischen Handel könnten wir nicht überleben“, betonte die stellvertretende Landwirtschaftsministerin Namibias, Anna Shiweda. Das niederschlagsärmste Land südlich der Sahara versucht, möglichst wassersparend zu wirtschaften. Wichtigstes Agrarprodukt ist Rindfleisch, das in die EU und seit kurzem auch nach China und Hongkong sowie in die USA exportiert wird. „Große Mengen können wir nicht produzieren; wir setzen auf Qualität, damit unsere Erzeuger hohe Preise erzielen können“, beschrieb Shiweda die Handelsstrategie ihres Landes.
Den Teufelskreis, in dem viele Bauern in Entwicklungsländern gefangen sind, verdeutlichte die Kommissarin für ländliche Wirtschaft und Landwirtschaft der Afrikanischen Union, Josefa Sacko. Internationale Märkte verlangen Qualität. Und über die Preise der gehandelten Produkte bestimmt der Weltmarkt. „Wer gute Qualität erzeugen will, muss investieren. Unsere Landwirte können das aber nicht, wenn die Preise, die sie für ihre Produkte erzielen, zu niedrig sind und die Investitionen sich nicht amortisieren“, kritisierte die AU-Kommissarin.
Auch Äthiopiens Agrarminister Oumer Hussien Oba sieht den internationalen Handel mit gemischten Gefühlen. Äthiopien ist der wichtigste Kaffeeproduzent auf dem Kontinent, 15 Prozent der Produktion gehen in den Export, wo Premiumpreise erzielt werden können. In anderen Branchen, etwa im Gartenbau, sehe es weniger rosig aus. Hier könnte der Großteil der hohen Anforderungen der EU – von der Produktion bis zum Marketing – noch nicht erfüllt werden. „Wir wollen nicht, dass die EU ihre Standards senkt, sondern dass sie uns ausbildet, damit wir die Mindestqualitätsstandards einhalten können“, wandte sich der Minister an EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski.
„Unsere Bauern sagen: Handel ist gut, aber er muss auf Augenhöhe stattfinden“, stellte Wojciechowski die Position der Europäischen Union klar. Einheitliche Standards seien wichtig, nicht nur für die Verbrauchersicherheit, sondern auch für den Schutz der Umwelt und des Klimas. „Ich denke, wir arbeiten sehr konstruktiv mit Afrika zusammen, damit die Länder unsere Standards besser einhalten können“, so der EU-Agrarkommissar. Und: „Unsere Tür steht offen für Produkte aus Afrika.“
Dies bestätigte auch der Generaldirektor des International Food Policy Research Institute (IFPRI), Johan Swinnen. Die Exporte Afrikas in die EU seien in den vergangenen Jahren gestiegen. Zwar hätten viele Studien gezeigt, dass Lebensmittel-Standards auch Handelshemmnisse darstellen können; in vielen Fällen förderten sie den Handel jedoch, wie das Beispiel Namibias zeige. Doch führt der Kontinent bisher wenig verarbeitete Produkte aus. Beispiel Schokolade: Afrika exportiert Kakaobohnen, die in anderen Ländern verarbeitet und dann als Schokolade reimportiert werden. „Durch Diversifizierung könnte die Integration in die Weltmärkte deutlich besser werden“, so Swinnen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Veranstaltung waren sich einig, dass es höchste Zeit ist, Afrika nicht länger als reinen Rohstofflieferanten zu betrachten.
Berliner Agrarministerkonferenz mit 71 Ministern
Den Höhepunkt des GFFA bildete die 12. Berliner Agrarministerkonferenz, zu der die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner, 71 Amtskolleginnen und -kollegen aus aller Welt sowie Vertreterinnen und Vertreter von zwölf internationalen Organisationen begrüßte. „Ohne Handel wird es keine Sicherung der Welternährung geben“, zeigte sich die Ministerin bei der Eröffnung des Treffens überzeugt. Wichtig sei, dass der internationale Handel von Fairness und Transparenz geprägt sei und alle Landwirte – auch die Kleinbauern im Globalen Süden – auf der Gewinnerseite stehen. Gleichzeitig dürften Anforderungen etwa an Umweltschutz oder Lebensmittelsicherheit nicht unterlaufen werden. Um gemeinsame Standards zu garantieren und dafür zu sorgen, dass marktverzerrende Agrarsubventionen weiter abgebaut werden, sei es unverzichtbar, die Welthandelsorganisation wieder zu stärken.
Die Ergebnisse ihrer Beratungen hielten die Agrarministerinnen und -minister in einem gemeinsamen Kommuniqué fest. In ihm verpflichten sie sich, den internationalen Agrarhandel zu fördern und ihn gleichzeitig nachhaltig zu gestalten. Hierfür sollen Handelshemmnisse abgebaut und globale Standards eingeführt werden. Entstehende Wohlstandsgewinne sollen allen Ländern und allen sozialen Schichten zugutekommen, so eine weitere Forderung. Damit die Landwirtschaft vom Handel profitieren kann, soll der Aufbau lokaler, regionaler und globaler Wertschöpfungsketten vorangetrieben werden. Insbesondere Kleinbäuerinnen und Kleinbauern müssen in ihrem Risikomanagement unterstützt und stärker in die Märkte eingebunden werden, heißt es im Kommuniqué weiter. Durch technische und organisatorische Innovationen soll die Agrar- und Ernährungswirtschaft insgesamt effizienter und ressourcenschonender und zugleich attraktiv für eine neue Generation von Landwirtinnen und Landwirten werden.
„Unsere heutigen Beschlüsse sind ein starkes Zeichen für einen regel- und wertebasierten Freihandel“, betonte Ministerin Klöckner, bevor sie das Kommuniqué an den Generaldirektor der FAO, Qu Dongyu, den stellvertretenden Generalsekretär der WTO, Alan Wolff, und den Vize-Minister Kasachstans, Aidarbek Saparov – als Gastgeber der kommenden WTO-Ministerkonferenz – übergab. Fortschritte bei der Umsetzung der im Kommuniqué genannten Verpflichtungen sollen beim GFFA 2022 besprochen werden.
Das Global Forum for Food and Agriculture (GFFA) wird seit 2009 im Rahmen der Internationalen Grünen Woche veranstaltet. Auf der hochkarätigen Konferenz treffen sich Expertinnen und Experten aus der ganzen Welt für drei Tage in Berlin, um über zentrale Zukunftsfragen der globalen Landwirtschaft und Welternährung zu diskutieren. In diesem Jahr stand die Konferenz unter dem Motto „Nahrung für alle! Handel für eine sichere, vielfältige und nachhaltige Ernährung“.