Vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Krise hat sich Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) gegen pauschale Reisewarnungen gewandt. „Wir können nicht sagen, die ganze Welt ist Risikogebiet“, sagte Müller am Mittwoch vor dem Tourismusausschuss. Den Schaden hätten in erster Linie Entwicklungs- und Schwellenländer, deren Wirtschaft in weit überdurchschnittlichem Maße von Einnahmen aus dem Reiseverkehr abhänge. Diese Länder hätten Anspruch auf eine „faire und gerechte“ Risikobewertung.

Müller wies darauf hin, dass viele der betroffenen Staaten erhebliche Anstrengungen zum Infektionsschutz unternommen und dabei Bemerkenswertes geleistet hätten. Länder wie Marokko, Kenia, Namibia, Ruanda verfügten über Hygienekonzepte, die „nicht von vorgestern, sondern auf dem Standard, den wir uns wünschen“, seien. Sie seien in mancher Hinsicht „viel effizienter“ als vergleichbare Maßnahmen in Europa. Daher sei anstelle unterschiedsloser Reisewarnungen eine „risikobasierte und faktenorientierte Einstufung dieser Länder“ geboten: „Es muss eine differenzierte Betrachtung geben,“ forderte Müller.

Für jedes dritte Entwicklungsland sei der Tourismus die Haupteinnahmequelle, betonte der Minister. So generierten die Malediven auf diesem Wege 60 Prozent ihrer Deviseneinnahmen, die Seychellen 35 Prozent, Tunesien und Namibia jeweils 25 Prozent. Vor diesem Hintergrund werde deutlich, was es für die betroffenen Staaten bedeute, dass in diesem Jahr bis einschließlich August der weltweite Reiseverkehr um 70 Prozent eingebrochen sei. Inselstaaten der Südsee und der Karibik hätten Einbußen um bis zu 95 Prozent hinnehmen müssen. In der Folge seien Milliardenbeträge an Deviseneinnahmen ausgeblieben und Millionen von Arbeitsplätzen weggebrochen. Für die Betroffenen bedeute dies, dass sie mangels sozialer Sicherungssysteme in ihren Ländern vor dem „absoluten Aus“ stünden.

Tourismus könne zerstörerische Wirkungen auf Umwelt- und Lebensbedingungen in den Zielländern haben, betonte Müller, der dabei vor allem die Kreuzfahrtbranche in den Blick nahm. Dem gegenüber stünden indes die zahlreichen positiven Effekte nicht nur für Wirtschaft und Beschäftigung, sondern auch für die Bewahrung der Artenvielfalt und der natürlichen Lebensgrundlagen. So sei in vielen Ländern Afrikas der Erhalt von Schutzgebieten und Regenwäldern nur durch Einnahmen aus dem Reiseverkehr zu finanzieren. Folgerichtig sei in der derzeitigen Corona-Krise zu beobachten, dass in Naturparks die Wilderei wieder zunehme, weil die Menschen auf andere Art ihren Lebensunterhalt nicht mehr sichern könnten.

In weiten Regionen des globalen Südens gebe es neben der Corona- längst eine „Hunger-Pandemie“, betonte der Minister: „Davon gibt es noch keine Fernsehbilder, deshalb interessiert das niemanden. Das interessiert uns erst, wenn wie jetzt auf den Kanaren Flüchtlinge ankommen. Dann heißt es wieder: Dem Müller muss man Geld geben.“