Energieexperten in ganz Deutschland, aber auch in anderen europäischen Staaten sind entsetzt: Wie jetzt bekannt wurde, will die EU-Kommission beim Energiesparen das vom EU Parlament verabschiedete Ziel bis 2030 40 Prozent der Energie gegenüber dem Ausgangsjahr 1990 einzusparen, aufweichen und verwässern.
Nach einem Treffen des für Energie zuständigen EU-Kommissars Günther Oettinger mit Kommissionspräsident José Manuel Barroso und der für Klimaschutz zuständigen Kommissarin Connie Hedegaard kristallisiert sich für die Zukunft folgendes Bild: Die EU-Kommission wird höchstwahrscheinlich ein verbindliches Energiesparziel definieren, und das Ziel wird klar unter den vom Parlament geforderten 40 Prozent liegen. Mehr als 30 Prozent seien unrealistisch, heißt es in Kommissionskreisen. Insbesondere Manuel Barroso beharrt offenbar auf einem niedrigen Energiesparziel. Der Portugiese möchte am liebsten den gesamten Klimaschutz auf Emissionshandel ausrichten und argumentiert, dass damit zu hohe Energiesparziele damit nicht vereinbar sind.
In diesem Zusammenhang steht die Vorlage eines Strategiepapiers von EU-Energiekommissar Günther Oettinger, das er im kommenden Monat präsentieren will. Hier ist mehr von vierzig Prozent Einsparung, sondern lediglich von 27 oder 28 Prozent die Rede. Von Energieexperten in Deutschland heißt es nahezu unisono: Sollte dies eintreten, wäre eine Festlegung auf diese neuen Ziele nur wenige Wochen nach der Europawahl, sowohl eine Missachtung von Parlamentsforderungen einerseits , als auch eine Torpedierung der deutschen Energiewende andererseits. Die deutsche Bundesregierung setzt auf eher mehr Einsparungen, als auf weniger. Fachleute halten das Strategiepapier, das derzeit in Brüssel und Berlin kursiert, für das falsche Signal zur falschen Zeit. Und schon wird von Kritikern kolportiert, dass Oettinger, dessen Amtszeit im Herbst ausläuft, mit diesen Vorgaben wohl einen Blick auf einen attraktiven Job in der Industrie im Auge hat.
Druck auf dem Kessel belassen
Doch so richtig aus der Deckung trauen sich die Offiziellen der in Berlin regierenden Großen Koalition noch nicht, schließlich ist Oettinger als CDU-Mitglied, einer der ihrigen, zumindest hinter vorgehaltener Hand ist man nicht wirklich begeistert, über die im Vorfeld bekannt gewordenen Zahlen. Denn wenn die EU, die Effizienzziele jetzt aufweichen würde, nähme man in vielerlei Hinsicht Druck aus dem Kessel, heißt es bei Energiefachleuten aus Regierungskreisen mit Verweis auch auf die Ukraine-Krise. Denn offizielle europäische Linie sei hier die stärkere Unabhängig von russischen Öl- und Gaslieferungen. Ein Baustein hierzu: Die europäische Energieeffizienz. Spielte man gerade jetzt an den vorgegebenen Werten, würde damit auch die gesamte europäische Position unglaubwürdig. Die EU-Staaten seien immerhin mehr als 50 Prozent von ausländischen Gaslieferungen abhängig.
Gabriels und Hendricks Haltung
Bekannt geworden ist darüber hinaus inzwischen auch die Haltung der beiden zuständigen bundesdeutschen SPD-Minister Siegmar Gabriel für Wirtschaft und Energie sowie Barbara Hendricks für Umwelt. Zusammen mit Ministern aus Belgien, Dänemark, Griechenland, Irland, Luxemburg und Portugal haben sie einen Brief an Kommissionspräsidenten Manuel Barroso geschrieben, indem sie hervorheben, dass Einsparungen bei Wärme und Strom der günstigste und beste Weg seien, um für mehr Versorgungssicherheit und Klimaschutz in Europa zu sorgen.
Das sei wichtig, um die angestrebte Reduzierung beim EU-Treibhausgas-Ausstoß bis 2050 um 80 bis 95 Prozent zu erreichen. Europa könne beim Energiesparen auch für mehr Wachstum und Arbeitsplätze sorgen: „Wir können es uns nicht leisten, diese Gelegenheit zu verpassen“, schreiben Gabriel und Hendricks.
Deutsche Fachleute warnen
Auch in deutschen Unternehmen sieht man das Vorhaben der Kommission eher kritisch. Dr. Peter Diedrich, Gründungspartner von DSC Legal, einer Rechtsanwaltsgesellschaft für Renewable Energies in Berlin, weist daraufhin, dass schon jetzt in der deutschen Effizienzbranche mehr als 800.000 Menschen beschäftigt seien, bis 2020 könnten noch mindestens 250.000 weitere Arbeitsplätze geschaffen und gesichert werden. Die Branche sei ein deutscher Exportmotor, der durch laschere europäische Bestimmungen in Gefahr gebracht würde. Im Wärmesektor könnten weitere Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz bis 2020 zur Reduktion von Treibhausgasemissionen um 45 Millionen Tonnen führen, das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2020 um rund ein halbes Prozent steigen und Verbraucherinnen und Verbraucher um etwa 3,8 Milliarden Euro entlastet werden.
Und Andreas Schütz, Gesellschafter von Profi Select, und einer der profiliertesten Immobilienfachleute in Sachen erneuerbare Energien fügt an: „Mit weicheren Zielen würden die Bemühungen der Immobilienwirtschaft kontrakariert: Bei steigenden Abgaben auf den Strom würden vor allem die Verbraucher belastet. Schon jetzt machten Strom und Wärmekosten die zweite Miete aus. Durch deutliche Steigerungen der Stromeffizienz könnten schon bis 2020 die CO2 Emissionen um 40 Millionen Tonnen und die Importausgaben für Steinkohle und Erdgas um zwei Millionen reduziert, und bis 2035 die Kosten für das Stromsystem um bis zu 20 Milliarden Euro jährlich gesenkt und der Ausbaubedarf der Übertragungsnetze bis 2050 von 8.500 Kilometern auf 5.000 bis 1.750 Kilometer reduziert werden.“
Verleger Frank Wohlfarth, Herausgeber unterschiedlichster Medien im Bereich Energieeffizienz und Baustoffe, befürchtet ein Abwürgen des Exportschlagers „Energieeffizienz“ und verweist darauf, dass Energiesicherheit und Energieeffizienz das gleiche „Paar Schuhe“ seien. Diese müssten Hand in Hand gehen. “ Energieeffizienz sorgt für erhebliche Beschäftigung in Deutschland und Europa.“ Ein Abrücken von den europäischen Energieeffizienzzielen würde nicht nur in Deutschland, sondern auch europaweit zu Jobverlusten führen und die Wettbewerbsfähigkeit dieser neuen und innovativen Industrie einschränken.
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