Knapp ein Drittel aller Säugetierarten in Deutschland gelten als gefährdet. Zudem hat sich der  Zustand vieler Säugetiere in Deutschland in den vergangenen zehn bis 15 Jahren verschlechtert. Interessant: Dort, gezielten Natur- und Umweltschutzmaßnahmen vorgenommen werden, konnten die Tiere davon profitieren.

Die Ergebnisse der aktuellen Roten Liste der Säugetiere, wurden heute vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) gemeinsam mit dem Rote-Liste-Zentrum (RLZ) vorgestellt. Für insgesamt 97 in Deutschland einheimische Säugetiere hatten die Autorinnen und Autoren der nun vorliegenden, nach gut zehn Jahren grundlegend aktualisierten Roten Liste die Bestandssituation und das Ausmaß der Gefährdung ermittelt.

„Die aktuelle Rote Liste belegt, dass insgesamt 30 Arten und Unterarten und damit 31 Prozent der bewerteten Säugetiere Deutschlands bestandsgefährdet sind, sie also in eine der vier Kategorien – Vom Aussterben bedroht, Stark gefährdet, Gefährdet oder Gefährdung unbekannten Ausmaßes – eingestuft sind“, sagt BfN-Präsidentin Prof. Dr. Beate Jessel. „Zu den bestandsgefährdeten Arten zählen Arten des Offenlandes wie der Feldhase, der Meere wie der Schweinswal oder der Wälder wie die Bechsteinfledermaus. Ihre Vorkommen gehen zurück, weil die menschliche Nutzung ihrer Lebensräume weiter zunimmt“, so die BfN-Präsidentin. „Die Auswirkungen unserer Nutzungen sind es auch, die dazu geführt haben, dass das Graue Langohr als Fledermaus, der Luchs und der Zwergwal jetzt als vom Aussterben bedroht eingestuft sind.“


Hintergrund Rote Liste

Die Roten Listen der Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands In den Roten Listen wird der Gefährdungsstatus von Tier-, Pflanzen- und Pilzarten für einen bestimmten Bezugsraum dargestellt. Von den etwa 72.000 Tier-, Pflanzen- und Pilzarten Deutschlands werden in den Roten Listen mehr als 30.000 auf ihre Gefährdung hin untersucht. Die Roten Listen sind zugleich Inventarlisten für einzelne Artengruppen und bieten Informationen nicht nur zu den gefährdeten, sondern zu allen in Deutschland vorkommenden Arten der untersuchten Organismengruppen.

Die Autorinnen und Autoren bewerten die Gefährdung anhand der Bestandssituation und der Bestandsentwicklung. Die Grundlagen für die Gefährdungsanalysen werden von einer großen Zahl von ehrenamtlichen Artenkennerinnen und Artenkennern ermittelt. Die Roten Listen selbst werden von den Autorinnen und Autoren ebenfalls in weiten Teilen ehrenamtlich erstellt. Sie werden dabei vom Rote-Liste-Zentrum im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) fachlich begleitet. Die Methodik für die Bewertung der Arten wurde vom BfN gemeinsam mit Autorinnen und Autoren entwickelt. Die fachliche Endabnahme und Herausgabe der Roten Listen erfolgen durch das BfN. Für den Schutz der Artenvielfalt in Deutschland stellen Rote Listen eine entscheidende Grundlage dar. Sie dokumentieren den Zustand von Arten und mittelbar die Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Natur. Damit sind sie Frühwarnsysteme für die Entwicklung der biologischen Vielfalt und zeigen auf, wo Handlungsbedarf besteht. Sie ermöglichen es, Naturschutzmaßnahmen zu gewichten, bei der Umsetzung Prioritäten zu setzen und weisen zugleich auf Forschungsbedarfe hin.


Positiv entwickelt haben sich in den vergangenen zehn bis 15 Jahren hingegen die Bestände von 17 Säugetieren und damit rund 18 Prozent der bewerteten Arten und Unterarten. Ausschlaggebend dafür waren vor allem Maßnahmen im Bereich des Natur- und Umweltschutzes. Bei weiteren 39 Arten wurde zumindest eine stabile Entwicklung festgestellt, was oft gezielten Artenhilfsmaßnahmen zu verdanken ist: Von Maßnahmen im Quartierschutz oder der Einrichtung von Trittstein- oder Vernetzungsbiotopen profitierten zum Beispiel die bedrohten Bestände der Wildkatze oder des Großen Mausohrs, einer Fledermausart.

Eingeschätzt wurde auch die Verantwortlichkeit Deutschlands für die weltweite Erhaltung von Arten: Die Zahl der Arten und Unterarten, für die Deutschland eine besondere Verantwortlichkeit hat, weil sich hierzulande ein bedeutender Anteil an der Weltpopulation findet oder die Arten weltweit gefährdet sind, ist im Vergleich zu den vergangenen Publikationen nahezu unverändert geblieben. Unter den 16 Arten und Unterarten finden sich unter anderem die Alpenspitzmaus, der Feldhamster und einige Fledermausarten.

„Die aktuelle Rote Liste der Säugetiere gibt Auskunft über alle in Deutschland vorkommenden 117 Säugetierarten. Sie umfasst auch jene, die nur sporadisch oder als Neubürger nachgewiesen sind und deshalb hinsichtlich ihrer Gefährdung nicht bewertet werden, und liefert damit einen Überblick und ein Inventar der gegenwärtig in Deutschland vorkommenden Vielfalt. Dank neuer Erfassungsmethoden wie der Fotofallenmethode wurde bei einigen Arten auch der Kenntnisstand deutlich verbessert“, erläutert Holger Meinig, Säugetierexperte und Erstautor der Roten Liste. „Das hat dazu geführt, dass wir nur noch sechs Prozent der Säugetiere in die Kategorie D, Daten unzureichend, einstufen mussten.“

Die Gesamtbilanz für die in der Roten Liste bewerteten 97 Säugetiere zeigt unter anderem für mehr als die Hälfte der Arten und Unterarten einen negativen Bestandstrend in den vergangenen 150 Jahren. Zugleich wurden 41 Prozent der Säugetiere aufgrund ihrer aktuellen Häufigkeit und räumlich begrenzten Vorkommen als selten bis extrem selten eingestuft. Dazu zählen Arten, die von Natur aus selten sind wie der Steinbock, aber auch Arten mit aktuell abnehmenden Beständen wie der Iltis. Darüber hinaus finden sich in der Roten Liste derzeit insgesamt zehn Säugetierarten, die in Deutschland ausgestorben oder verschollen sind. Dazu gehören etwa der Große Tümmler oder das Europäische Ziesel.

„Um den Artenrückgang ernsthaft aufzuhalten, müssen wir an einer Reihe von Stellschrauben drehen“, sagt BfN-Präsidentin Prof. Dr. Beate Jessel. „Einzelne Artenhilfsmaßnahmen reichen nicht aus. Wir brauchen auf breiter Fläche eine naturverträglichere Land- und Forstwirtschaft. Im Verkehrs- und Siedlungsbereich müssen wir die anhaltende Flächeninanspruchnahme reduzieren. Darüber hinaus brauchen wir eine bessere Durchlässigkeit unserer Landschaft für mobile Arten, sowohl zu Lande als auch zu Wasser. Die Rote Liste zeigt uns ganz deutlich, dass wir unsere Wirtschaftsweisen im Offenland, in den Wäldern und Gewässern verändern müssen, um unsere Artenvielfalt in Deutschland erhalten zu können.“

Mit der aktuellen Roten Liste der Säugetiere beginnt zugleich der neue Aktualisierungs- und Veröffentlichungszyklus der Reihe „Rote Liste der Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands“. Sukzessive werden die Roten Listen in einem Turnus von rund zehn Jahren neu aufgelegt. Damit verbunden ist unter anderem die kostenfreie Veröffentlichung der Roten Liste in elektronischer Form. Bislang und weiterhin sind sämtliche Daten als Excel-Listen zum Download abrufbar.

WWF fordert ein Drittel Deutschlands unter Schutz zu stellen

Dr. Arnulf Köhncke, Leiter Artenschutz beim WWF Deutschland forderte nach Veröffentlichung der Roten Liste: „Knapp ein Drittel der Säugetiere in Deutschland ist in seinem Bestand gefährdet. Viele Bestände haben sich in den vergangenen Jahren verschlechtert. Das größte Aussterben seit Ende der Dinosaurierzeit macht auch vor Deutschland nicht halt. Hoffnungsvoll stimmt allerdings, dass gerade bei Tierarten, die im Fokus von Natur- und Artenschutzprojekten stehen, der Bestandstrend nach oben weist. Wildkatze, Fischotter, Atlantischer Kegelrobbe und Wolf geht es wieder besser. Das zeigt: Langfristiger Einsatz zahlt sich aus. Wir brauchen einen Artenschutz-Dreiklang für Deutschland: Mehr Schutzgebiete, ambitionierte Klimapolitik und einen ernährungs- und landwirtschaftspolitischen Neustart.

Der WWF fordert daher bis 2030 30 Prozent der Erde unter Schutz zu stellen. Dazu muss auch Deutschland seinen Beitrag leisten. Die EU-Biodiversitätsstrategie hat sich exakt zu diesem Ziel für ganz Europa bekannt. Momentan sind allerdings nur rund 15 Prozent der deutschen Landfläche durch Natura 2000-Schutzgebiete abgedeckt. Es braucht also mehr Nationalparke, Biosphärenreservate und Naturschutzgebiete. Vor allem, wenn wir mit entsprechenden Forderungen auch an Entwicklungs- und Schwellenländer herantreten.

Da zudem über 50 Prozent der Fläche in Deutschland landwirtschaftlich genutzt wird, muss es in der Landwirtschaft einen ökologischen Neustart geben. Die politische und steuerfinanzierte Förderung einer intensiven Landwirtschaft, die Natur zerstört und allen Klimazielen zuwiderläuft, muss ein Ende haben.

Im Kampf gegen die Klimakrise wird der EU-Gipfel im Oktober entscheidend sein. Der WWF erwartet von Kanzlerin Merkel, als EU-Ratsvorsitzende dafür zu sorgen, dass die EU-Staaten eine Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 65 Prozent beschließen.