Die zunehmende Verstädterung ist eine große Belastung für unsere Infrastrukturen und wird Kommunen vor große Aufgaben stellen, die sie alleine nicht lösen können, ist sich Frank Zeeb, Vorstandsvorsitzender der Alliander AG, sicher. Im Interview spricht er vom „Internet der Energie“, wie die Kommunen die Herausforderungen der Energiewende meistern können und wie in Heinsberg ein Schaufenster innovativer Lösungen aus dem Hause Alliander aufgebaut wird.
FAIReconomics: Immer mehr Menschen zieht es in die Städte. Ist das mit unserer Energie-Infrastruktur künftig noch zu meistern?
Frank Zeeb: In der Tat schreitet die Verstädterung weltweit voran. Im Jahr 1900 waren nur 13 Prozent der Menschen Stadtbewohner. Derzeit sind es bereits 53 Prozent. Im Jahr 2050 wird die Zahl der städtischen Bevölkerung auf sage und schreibe 70 Prozent der gesamten Menschheit steigen. Diese Entwicklung stellt die Energienetze der Städte vor große Herausforderungen. Die Digitalisierung der Energie-Infrastruktur wird weltweit die Gesellschaften grundlegend verändern. Deshalb spricht der Zukunftsforscher und US-Ökonom Jeremy Rifkin auch von der dritten industriellen Revolution.
Wie wird denn diese neue Energie-Infrastruktur aussehen?
Rifkin hat fünf Säulen definiert. Die erste Säule symbolisiert die  fortschreitende Nutzung erneuerbarer Energien. In Deutschland verfolgt die Politik das Ziel, bis 2050 die Hälfte des Energieverbrauchs mit erneuerbaren Energien zu decken. Die zweite Säule meint den Aufbau einer dezentralen Energieerzeugung, etwa durch Mikrokraftwerke, Photovoltaik oder Windkraft. Die dritte Säule bezieht sich auf den  Einsatz von Energiespeichertechnologien, um Schwankungen in der Energieerzeugung auszugleichen. Die Digitalisierung der Netzsteuerung ist die vierte Säule. Dadurch verwandeln sich Energienetze in ein Internet der Energie, über das lokal erzeugte Energie mit anderen geteilt werden kann. Der Aufbau von Infrastrukturen für Elektromobilität ist schließlich die fünfte Säule.
Wie entsteht das Internet der Energie?
Indem unsere Energienetze digitalisiert werden. Wir sind heute in der Lage, den Zustand fast aller Dinge auf dieser Welt zu messen, zu prüfen und zu überwachen. Bei Energienetzen sind Smart Meter, ein wesentlicher Baustein dafür.
Wie sieht die Zukunft des Internets der Energie aus?
Jeder angeschlossene Haushalt kommuniziert mit dem anderen. Darunter sind auch Teilnehmer, die selbst Strom aus erneuerbaren Energien erzeugen. Diese Energiemengen werden flexibel zwischen den Teilnehmern ausgetauscht. Nachbarn könnten sich so bald gegenseitig Kilowattstunden ihrer selbsterzeugten Energie verkaufen. Doch die intelligenten Netze können noch mehr: Kleine, dezentrale Energiequellen wie Photovoltaikanlagen, Windräder oder Mikro-Blockheizkraftwerke lassen sich mit Hilfe intelligenter Netze und Speichertechnologien zu einem großen virtuellen Kraftwerk vernetzen.
Können Kommunen ihre Energie-Infrastruktur durch die Digitalisierung entlasten?
Die zunehmende Verstädterung ist eine hohe Belastung für die gesamte Infrastruktur und stellt Kommunen vor große Herausforderungen, die allerdings in der Tat durch eine digitale Energie-Infrastruktur gemeistert werden können. Künftig wird es für Kommunen nicht mehr nur darum gehen, eine Konzession zu vergeben, sondern einen Partner zu finden, der die Rolle des Digital Enablers, also eines Wegbereiters im Internet der Energie, übernehmen kann. Die klassischen Kompetenzfelder eines Energieunternehmens reichen für diese Rolle keineswegs aus. Kommunen brauchen innovative Energieinfrastruktur-Dienstleister als Partner, mit denen die Transformation von der klassischen zur neuen Energie-Infrastruktur möglich wird.
Sind Kommunen der Energiewende nicht gewachsen?
Insbesondere Kommunen mit weniger als 50.000 Einwohnern werden mit den zunehmenden finanziellen und technischen Herausforderungen der Energiewende überfordert sein. Und auch Kommunen mit bis zu 100.000 Einwohnern werden die Auswirkungen zu spüren bekommen. Dezentrale Energienetze beispielsweise benötigen komplexe IT-gestützte Steuerungssysteme, die sehr viel technisches Spezial-Know-how verlangen. Kommunen sind somit künftig auf den Digital Enabler angewiesen.
Seit 15 Jahren betreiben Sie das Stromnetz in Heinsberg. Wie weit sind Sie bei diesem Projekt aktuell?
In den vergangenen 15 Jahren unserer Kooperation mit der Stadt Heinsberg wurde bereits die Hälfte der Energienetze modernisiert. 13 Millionen Euro hat das gekostet und weitere fünf Millionen Euro sind schon fest eingeplant.
Was bedeutet der Umbau für Heinsberg?
Dass unter anderem in bereits 7.000 Haushalten Smart Meter installiert wurden und weitere 1.000 geplant sind. Im Dezember 2011 feierte die Stadt zudem die Inbetriebnahme der ersten Ladestation für E-Mobile von Alliander. Das sind nur einige Erfolge. Insgesamt wurde bereits viel bewirkt: Schon jetzt kommen rund 40 Prozent des Heinsberger Stroms aus regenerativen Quellen. Zeitweise können es sogar 100 Prozent sein, wenn die Leistung von EEG-Anlagen hoch genug ist.
Was ist Ihre Vision für Heinsberg?
Heinsberg soll zu einer Modell-Kommune mit einem Netz der Zukunft werden, mit der wir auf dem deutschen Markt zeigen wollen, welche innovativen Lösungen Alliander potenziellen Kunden zu bieten hat. Wir nennen das Projekt daher „Schaufenster Heinsberg“.
Herr Zeeb, vielen Dank für das Interview!