Menschen haben immer großen Einfluss auf Entwicklungen, doch wie sieht ihr Einfluss auf räumliche Entwicklungen aus? Das wollen Forscher nun ergründen. Das IRS, das Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung arbeitet derzeit an einem Forschungsprojekt, bei dem es sich um sogenannte Schlüsselfiguren in der Raumentwicklung handelt, also Einzelpersonen, die auf Prozesse der räumlich-gesellschaftlichen Entwicklung einen großen Einfluss haben. Die Mechanismen ihrer Wirksamkeit werden in verschiedenen Fallstudien untersucht und gemeinsam analysiert.
Aufbauend auf diese Erfahrungen hat im Jahr 2013 ein neues abteilungsübergreifendes Forschungsprojekt begonnen. Im dreijährigen Brückenprojekt „Schlüsselfiguren als Triebkräfte in der Raumentwicklung“ führen Wissenschaftler aus vier Forschungsabteilungen Fallstudien in ihren jeweiligen Forschungsfeldern durch, um dem Einfluss von prägenden Einzelakteuren auf bestimmte Prozesse der Raumentwicklung auf den Grund zu gehen und eine Typologie zu entwickeln.
Alle Forschungsabteilungen haben jedoch in der empirischen Arbeit immer wieder ähnliche Erfahrungen gemacht, berichtet die IRS-Direktorin Prof. Dr. Heiderose Kilper. „Es zeigte sich, dass es oft bestimmte Einzelpersonen sind, die als Triebkräfte in Raumentwicklungsprozessen wirken, indem sie beispielsweise in ihrem sozialen Umfeld Neues ausprobieren, bisherige Pfade verlassen oder Lösungsansätze für sozialräumliche Probleme entwickeln.“ Daher sei es nötig, auch eine Perspektive in der sozialwissenschaftlichen Raumforschung einzunehmen, die dezidiert das individuelle Wirken von Schlüsselfiguren in den Blick nimmt und mit den Erkenntnissen über soziale und institutionelle Strukturen, Netzwerke und Raum in Beziehung setzt.
„Wir erwarten, dass sich unterschiedliche Wirkungsmuster der Schlüsselfiguren in den Feldern Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik aufzeigen lassen“, so die Projektleiterin Kilper. An erster Stelle steht jedoch eine Aufarbeitung des Forschungsstandes zum besonderen Einfluss von Einzelpersonen auf gesellschaftliche Prozesse.
Bereits Joseph Schumpeter und Max Weber setzten sich bereits vor circa 100 Jahren mit einem besonderen Typus des Unternehmers auseinander, der Dynamik und Charisma vereine und die wirtschaftliche Entwicklung maßgeblich beeinflusse. Ein anderer Strang der Forschung beschäftigt sich mit der Macht lokaler Eliten, wobei politische und wirtschaftliche Akteure analysiert wurden. Für das Brückenprojekt prägend sind zudem die Konzepte von „policy entrepreneurs“ und „leadership“. Insbesondere um den letzteren Begriff ranken sich noch zahlreiche Diskussionen. „Wir diskutieren, ob und wie wir beispielsweise den leadership-Begriff im Kontext der IRS-Forschung für die Schlüsselfiguren in der Raumentwicklung nutzbar machen können“, sagt Kilper.
Unterschiedliche Fallstudien
Die Fallstudien der Projektmitarbeiter nehmen unterschiedliche Schlüsselfiguren in den Blick. Die Forschungsabteilung „Dynamiken von Wirtschaftsräumen“ differenziert in ihrer Studie „Der enthusiastische Gründer“ verschiedene Typen von Akteuren an der Schnittfläche von Forschung und Wirtschaft. Am Beispiel der Biotechnologie haben die Wissenschaftler anerkannte Pionierpersönlichkeiten identifiziert, die Innovationen befördert und Entwicklungspfade vorgegeben haben. Mentoren sind dabei Schlüsselfiguren, die in der Grundlagenforschung hohes Ansehen genießen und Freiräume für Forschung und Transfer schaffen. Als disruptive Unternehmer bezeichnen die Forscher Unternehmer, die ehrgeizig und risikofreudig Innovationen aufnehmen und umsetzen. Ebenso essenziell seien aber die Strategen oder Diplomaten für eine erfolgreiche Innovationsbiographie, sie agieren zwischen Start-Ups und großen Unternehmen und haben den langfristigen Erfolg im Auge.
Die Fallstudie der Forschungsabteilung „Kommunikations- und Wissensdynamiken im Raum“ setzt an den Raumpionier-Forschungen der Abteilung der letzten Jahre an. Raumpioniere folgen zunächst ihren eigenen raumbezogenen Interessen, können in lokalem Rahmen aber zu Schlüsselfiguren für die Entwicklung eines Quartiers oder eines Dorfes werden. „Häufig regen sie in ihrem Umfeld Innovatives für die Lösung sozialer Probleme an und verankern diese Lösungen sozial und räumlich“, so Kilper. Neben den Netzwerken und dem institutionellen Nährboden für dieses Engagement sind auch individuelle Charakteristika der Akteure für ihren Einfluss relevant, etwa Kommunikations- und Integrationsfähigkeit.
Handlungsfeld Politik
Das dritte Handlungsfeld, die Politik, besetzt die Fallstudie, die von der Forschungsabteilung „Regenerierung von Städten“ in das Projekt eingebracht wird. Gegenstand der Studie ist der politische Entstehungsprozess des Städtebauförderprogramms „Stadtumbau Ost“, welches um die Jahrtausendwende einen entscheidenden Umbruch für die Stadtentwicklungspolitik darstellte. „Das Programm wurde vorangetrieben von einer überschaubaren Anzahl von Personen in Bund-, Länder- und Kommunalverwaltungen sowie im Bereich Wohnungswirtschaft und Planung“, sagt Kilper. Dieser Prozess verlief vergleichsweise schnell und die Beteiligten handelten kollektiv über Institutionengrenzen hinweg. Wie dies genau organisiert wurde, wie die Schlüsselfiguren handelten und welche Attribute ihnen zugeschrieben werden können, will das Brückenprojekt bis Ende 2015 klären.
„Nicht zuletzt werden wir auch immer Fragen des Raumes thematisieren“, schließt Kilper. „Dabei sehen wir Raum nicht ausschließlich als Betätigungsfeld der Akteure an, sondern analysieren ihn auch als Problemdimension und als Rahmenbedingung für ihr Handeln.“ Ob Räume durch Konzentration sozialer Problemlagen Handeln induzieren – wie im Falle der Raumpioniere in benachteiligten Quartieren – oder wie im Stadtumbau Objekt des Handelns sind, die enge Verbindung von sozialer und räumlicher Entwicklung als zentrales Merkmal der IRS-Forschung wird auch mit dem Brückenprojekt unterstrichen und vertieft.
Am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) forschen Wissenschaftler verschiedener Disziplinen zu Fragen der gesellschaftlichen und räumlichen Entwicklung in Städten und Regionen. Die dabei analysierten Felder der Raumentwicklung sind vielfältig, sie reichen vom möglichen Beitrag von Wissen und Innovation zur regionalen wirtschaftlichen Dynamik über die Entwicklung von sozial benachteiligten Stadtquartieren bis zur wissenschaftlichen Begleitung von Städtebauförderprogrammen wie „Stadtumbau Ost“.
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