Eine schnelle Reduktion der Treibhausgasemissionen ist notwendig, wenn Regierungen sowohl die Kosten der Klimastabilisierung begrenzen wollen – als auch die Menge des CO2 möglichst klein halten wollen, das mit viel technischem Aufwand nachträglich aus der Atmosphäre wieder herausgeholt werden soll. Dazu müssten die Emissionen im Jahr 2030 mindestens 20 Prozent unter dem liegen, was die Länder im Rahmen des Pariser Klimaabkommens zugesagt haben, so eine neue Studie – eine Erkenntnis, die für die beim UN-Klimagipfel in Polen geplante globale Bestandsaufnahme Ende des Jahres unmittelbar relevant ist.
Die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre durch technische Verfahren wie Kohlenstoffabscheidung und unterirdische Speicherung (CCS) oder die verstärkte Nutzung von Pflanzen zum Absaugen von CO2 ist mit einer Reihe von Risiken und Unsicherheiten verbunden.
„Die von den Regierungen im Rahmen des Pariser Klimaabkommens zugesagten Anstrengungen zur Emissionsreduzierung im nächsten Jahrzehnt reichen bei weitem nicht aus, um das explizite Ziel des Abkommens zu erreichen – nämlich die globale Erwärmung unter der 2-Grad-Grenze zu halten“, sagt Jessica Strefler vom C, Hauptautorin der in Environmental Research Letters veröffentlichten Analyse. „Um das Klima zu stabilisieren, bevor die Erwärmung die in Paris gesetzte Grenze überschreitet, müssen wir entweder enorme Anstrengungen unternehmen und die Emissionen bis 2030 halbieren sowie bis 2050 Emissionsneutralität erreichen – oder die Emissionsreduktionen müssten durch CO2-Abscheidungstechnologien ergänzt werden. In unserer Studie versuchen wir zum ersten Mal, die Mindestanforderungen an das nachträgliche Herausholen von CO2 aus der Atmosphäre zu ermitteln – und was ein verstärktes kurzfristiges Handeln hier bewirken kann“.
Mindestens 5 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr müssten aus der Luft geholt werden
Wenn das nachträgliche Herausholen von CO2 aus der Atmosphäre in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auf weniger als 5 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr begrenzt würde, so würden die Herausforderungen für das Einhalten der 2-Grad-Grenze stark steigen – das zeigen die Computersimulationen der Wissenschaftler. Das ist eine erhebliche Menge an CO2. Sie aus der Luft zu holen würde bedeuten, etwa eine Industrie für die Abscheidung und Speicherung von Kohlestoff aufzubauen in einer Größenordnung der Ölmassen wie sie heute in der globalen Erdölindustrie bewegt werden. Dennoch sind 5 Milliarden Tonnen CO2-Entfernung bescheiden im Vergleich zu den zehn bis zwanzig Milliarden Tonnen, die einige sonst in klimapolitischen Debatten verwendete Szenarien vorsehen. Zum Vergleich: Die aktuellen CO2-Emissionen liegen weltweit bei mehr als 35 Milliarden Tonnen pro Jahr.
„Weniger als 5 Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre heraus zu holen, könnten die Herausforderungen der Klimastabilisierung drastisch erhöhen – der Ausstoß an Treihausgasen müsste entsprechend stärker verringert werden“, sagt Co-Autor Nico Bauer vom PIK. „Würde diese Menge von 5 Milliarden Tonnen beispielsweise halbiert, müssten die jährlichen CO2-Emissionsminderungen zwischen 2030 und 2050 verdoppelt werden, um die 2-Grad-Grenze noch einzuhalten. Zudem müssten schon vorher auch die kurzfristigen Emissionsreduktionen deutlich erhöht werden, da die bisher von den Unterzeichnern des Pariser Abkommens zugesagten Bemühungen nicht ausreichen, um die Erwärmung unter 2 Grad Celsius zu halten, wenn sie nicht mit der Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre kombiniert werden.“
„Es geht um kurzfristige Einstiegspunkte – etwa den Ausstieg aus der Kohle“
Mehr Mengen CO2 aus der Atmosphäre zu holen als die genannten 5 Milliarden Tonnen könnte im Prinzip die Kosten senken, denn auf dem Papier ist der Einsatz der entsprechenden Technologien zur Kompensation von Restemissionen in Industrie und Verkehr günstiger als eine völlige Reduzierung der Emissionen von 90 Prozent auf 100 Prozent. Allerdings sind CO2-Abscheidungstechnologien mit drei Arten von Unsicherheiten und Risiken behaftet. Erstens sind die technische Machbarkeit und auch die Kosten bisher noch nicht gut genug bekannt. Zweitens könnten sie negative Auswirkungen auf andere Aspekte nachhaltigen Wirtschaftens haben: ein massiver Ausbau der Bioenergieproduktion könnte beispielsweise Landnutzungskonflikte auslösen und auf Kosten der Nahrungsmittelproduktion und des Schutzes von Ökosysteme gehen. Drittens ist die politische Machbarkeit keineswegs gegeben. In Deutschland haben die von Teilen der Bevölkerung geäußerten Ängste dazu geführt, dass die Regierung jede Umsetzung der Abscheidung und Speicherung von CO2 faktisch gestoppt hat.
„Unsere Studie gibt den Regierungen wichtige Informationen – erstens sind schnelle, kurzfristige Emissionsreduktionen die robusteste Möglichkeit, Klimaschäden zu verhindern; und zweitens kann ein großflächiger Einsatz von Technologien zum nachträglichen Herausholen von CO2 aus der Atmosphäre nur vermieden werden, wenn möglichst bald verlässliche CO2-Preise eingeführt werden“, sagt Ottmar Edenhofer, Mitautor der Studie und PIK-Chefökonom. „Eine Aufstockung der klimapolitischen Ambitionen für 2030, die die Emissionen um weitere 20 Prozent reduziert, ist wirtschaftlich machbar. Es geht um kurzfristige Einstiegspunkte. Das schnelle Beenden der Kohleverstromung in entwickelten Ländern wie Deutschland sowie auch die Einführung von Mindestpreisen für CO2 in Pionierkoalitionen in Europa und China sind nahezu unabhängig vom angestrebten Klimaziel sinnvoll. Eine Verzögerung hingegen, das zeigen unsere Untersuchungen, lassen Kosten und Risiken in die Höhe schnellen. Sowohl die Menschen als auch die Unternehmen wollen Stabilität, und das ist es, was die Politik schaffen kann – wenn sie schnell handelt.“
Artikel: Jessica Strefler, Nico Bauer, Elmar Kriegler, Alexander Popp, Anastasis Giannousakis, Ottmar Edenhofer (2018): Between Scylla and Charybdis: Delayed mitigation narrows the passage between large-scale CDR and high costs. Environmental Research Letters [DOI: 10.1088/1748-9326/aab2ba]
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