Edward Ott forscht aktuell in der Nachwuchsgruppe PlanSmart am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung ZALF. Im Interview gibt er einen Einblick in den aktuellen Zustand der deutschen Flusslandschaft, naturbasierten Hochwasserschutz und wie der nachhaltige Umbau von Flusslandschaften gelingen kann.
Wie würden Sie den Zustand unserer Flusslandschaften in Deutschland insgesamt beschreiben?
Flusslandschaften in Deutschland werden sehr intensiv genutzt. Gemäß Auenzustandsbericht befinden sich 58 Prozent der Niederungsgebiete seitlich von Flüssen und Bächen in einem stark bzw. sehr stark veränderten Zustand. Sie sind ökologisch nicht mehr oder nur noch eingeschränkt funktionsfähig. Auch können sie nicht mehr einfach überflutet werden und so Hochwasser abmildern. Insgesamt sind in Deutschland zwei Drittel der ehemaligen Überschwemmungsflächen verloren gegangen, was das Risiko für schwerwiegende Hochwasserereignisse erhöht. Die verbliebenen heutigen Auenbereiche werden zu einem Drittel intensiv als Acker-, Siedlungs-, Verkehrs- und Gewerbefläche genutzt.
Welche Maßnahmen für den Hochwasserschutz ergeben sich aus Ihrer Forschung?
Mit unserer Forschung unterstützen wir die Planung und Umsetzung naturbasierter Lösungen, die auf eine Reihe gesellschaftlicher Herausforderungen abzielen. Dafür machen sie sich ökologische Prozesse zu Nutze. So halten sie zum Beispiel Nährstoff- und Pestizidbelastungen aus der Landwirtschaft zurück, vermeiden Erosion und tragen zur Landschaftsästhetik bei.
Für den Hochwasserschutz ist vor allem interessant, dass sie die natürliche Wasserrückhaltekapazität in Flusslandschaften erhöhen könnten. Das kann durch eine Anpassung der örtlichen Land- und Forstwirtschaft passieren oder bis hin zu Deichrückverlegungen in Kombination mit der Renaturierung der wiedererschlossenen Auen reichen. In Hochwasserentstehungsgebieten kann der natürliche Wasserrückhalt durch Moorrenaturierung, Gehölzpflanzungen, Uferstreifen an Flüssen und Bächen und die Anlage von naturnahen Rückhaltebecken und Teichen verbessert werden.
Was wäre am schnellsten umsetzbar?
Am schnellsten umsetzbar sind räumlich kleinere Maßnahmen wie Pflanzungen und Gewässerrandstreifen, naturnahe Rückhaltebecken und Teiche sowie eine auf den Wasserrückhalt ausgerichtete Bewirtschaftung von land- und forstwirtschaftlichen Flächen. Das müssen die lokalen Bedingungen aber auch zulassen. Es muss aber gesagt werden, dass bei solchen Extremereignissen, wie wir sie in Westdeutschland erlebt haben, solch kleinere Maßnahmen schnell erschöpft gewesen wären. Sie können lediglich einen kleinen Teil zum Hochwasserschutz beitragen und erst in der Summe ihr Potenzial entfalten. Komplexe, großräumige Maßnahmen, wie Auenrenaturierungen oder der Anschluss von Altwasserarmen, erfordern eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung und haben in der Regel Planungshorizonte von zehn Jahren und mehr.
Was sind neben dem Hochwasserschutz die dringendsten Herausforderungen?
Neben dem Hochwasserschutz sind natürlich der Verlust der Artenvielfalt, die Anpassung an den Klimawandel sowie Nitratbelastungen des Grundwassers wichtige gesellschaftliche Herausforderungen, zu denen naturbasierte Lösungen einen wichtigen Beitrag leisten können. Besonders die durch den Klimawandel zunehmenden Extremwetterereignisse führen uns immer deutlicher vor Augen, dass dringender Handlungsbedarf besteht, unsere Flusslandschaften insgesamt widerstandfähiger zu gestalten.
Eine große Herausforderung aus planerischer Sicht besteht darin, naturbasierte Lösungen in der Planungspraxis stärker in den Fokus zu rücken, um den Transformationsprozess hin zu zukunftsfähigen Flusslandschaften für Mensch und Natur zu unterstützen.
Welche Akteure sind gefragt, wenn es um einen nachhaltigen Umbau unserer Flusslandschaften geht?
Da Flusslandschaften intensiv genutzte Bereiche sind, gibt es vielfältige, zum Teil miteinander im Widerspruch stehende Interessen, was sich auch in den Vorstellungen darüber widerspiegelt, wie die Flusslandschaften der Zukunft aussehen sollen. Naturbasierte Lösungen können hier einen Ausgleich schaffen, da sie die Ansprüche verschiedener Interessengruppen erfüllen. Die Planung von Entwicklungskonzepten für den Umbau unserer Flusslandschaften sollte diese unterschiedlichen Interessen berücksichtigen und dafür Wissensträger aus Politik und Praxis, Zivilgesellschaft und Forschung systematisch einbeziehen.
Wo können sich Akteure über Lösungsansätze aus der Forschung informieren?
Für die Planung und Umsetzung naturbasierter Lösungen stehen inzwischen vielfältige Informationen zur Verfügung, die das Ergebnis verschiedenster Forschungsprojekte sind. So stellt beispielsweise das Naturvation-Projekt für den Einsatz naturbasierter Lösungen im urbanen Raum ein umfangreiches Instrumentarium zur Verfügung. Für den Kontext der Flusslandschaft hat unsere Arbeitsgruppe PlanSmart vor kurzem ein Handbuch für Praktikerinnen und Praktiker veröffentlicht, welches kostenfrei als PDF über unsere Website oder beim Oekom-Verlag heruntergeladen werden kann. Das Handbuch erklärt die Schritte und Prinzipien unseres integrativen Planungsansatzes, stellt unsere Fallstudie LiLa – Living Lahn vor und enthält eine umfangreiche Methodensammlung zur Gestaltung von Planungsprozessen. Außerdem bieten wir über unsere Website ein interaktives Toolkit an, welches die im Handbuch dargestellten Planungsschritte und -prinzipien übersichtlich und kompakt aufbereitet.
Das Oppla-Repositorium der Europäischen Union bietet einen umfangreichen Überblick zu naturbasierten Lösungen weltweit und stellt eine Plattform zum Wissensaustausch zur Verfügung.
Wo braucht es mehr Forschung?
Unsere Forschungsgruppe hat bereits viel dazu beigetragen, Planungsprozesse für naturbasierte Lösungen besser zu verstehen und zu gestalten. Es bestehen aber weiterhin Wissenslücken dahingehend, ob und wie naturbasierte Lösungen in der Landschaftsplanung charakterisiert, berücksichtigt und erfolgreich umgesetzt werden können. Interessante Forschungsfragen in dieser Hinsicht sind zum Beispiel: Wie müssen die institutionellen Rahmenbedingungen aussehen, damit naturbasierte Lösungen stärker berücksichtigt werden? Wie müssen Finanzierungsinstrumente ausgestaltet werden? Welche Präferenzen und Risikoeinschätzungen hinsichtlich der Berücksichtigung naturbasierter Lösungen liegen bei Entscheidungsträgerinnen und –trägern vor? Wir brauchen also auch in der Zukunft trans- und interdisziplinäre Forschungsprojekte, die sich gezielt mit solchen Fragestellungen befassen.
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