Von Katharina Pfannkuch
Das islamische Finanzwesen, das auf den internationalen Märkten seit seinem Entstehen in den 1970er Jahren eher als Nischenmarkt angesehen wurde, steht seit Beginn der internationalen Finanzkrise im Jahr 2008 zunehmend im öffentlichen Interesse.
Wandte sich zunächst nur ein Fachpublikum diesem Themenfeld zu,so wurden islamische Banken bald auch der breiten Öffentlichkeit als „Gewinner der Krise“ präsentiert, die mit „Allahs Hilfe“ eben diese erfolgreich und im Vergleich zu konventionellen Banken relativ unbeschadetüberstanden hätten. Diese positive Berichterstattung lässt vermuten, dass es sich um eine echte Alternative zum konventionellen Banking handelt – eine Alternative, die nicht nur den eigenen, kurzfristigen Gewinn fokussiert, sondern als Teil einer umfassenden, sämtliche Lebensbereiche betreffenden religiösen Lebensauffassung zu begreifen ist, in der ökonomische Effizienz nicht abgekoppelt von sozialer Verantwortung und moralischen Werten wird, sondern nur in Verbindung mit eben dieser Verantwortung und bestimmten Werten als erstrebenswert anzusehen ist.
Maßstäbe sind anders
Offensichtlich handelt es sich beim Islamic Finance um ein System, in dem andere Maßstäbe angesetzt werden als im konventionellen Banking und in dem – wie der Name impliziert – religiös begründete Prinzipien greifen. Doch was genau ist unter dem Begriff Islamic Finance zu verstehen, welche wesentlichen Grundsätze zeichnen dieses System aus, welche Rolle spielt der Gedanke der Nachhaltigkeit in diesem System?
Die Prinzipien des islamischen Finanzwesens beruhen auf der Scharia, dem islamischen Recht. Dieses darf man sich keinesfalls als ein kodifiziertes Gesetz vorstellen, in dem bei Bedarf nachgeschlagen werden kann. Vielmehr handelt es sich in juristischer Hinsicht um ein Fallrecht, in dem religiöse Gelehrte je nach vorliegendem Fall auf eine der Quellen des islamischen Rechts zurückgreifen und ein Urteil sprechen. Die wichtigsten Quellen stellen im Rechtsfindungsprozess der Koran, die heilige Schrift des Islam, sowie die Sunna, die Überlieferung der Taten und Aussprüche von Muhammad, dem Propheten des Islam, dar.
Zudem wird auf den Konsens der islamischen Gelehrten, den idjma‘, sowie auf den Analogieschluss, arabisch qiyas, als Quellen zur Rechtsprechung Bezug genommen. Gerade im Zusammenhang mit dem Prinzip der Nachhaltigkeit ist aber zu beachten, dass die Scharia eben nicht nur um rein rechtlicheVorgaben beinhaltet, sondern dass in den genannten Quellen verbindliche Maßgaben für alle Lebensbereiche des Menschen zu finden sind, sowohl hinsichtlich seines Verhältnisses zu Gott (ibadat) als auch zu seinen Mitmenschen (mu’amalat). Die Scharia ist also als ein Normensystem zu verstehen, das rechtliche und soziale Komponenten enthält, als ein Leitfaden für den Alltag der Menschen. Dessen wirtschaftliches Handeln kann unter anderem zu den sozialen Aspekten gezählt werden, da es das Zusammenleben der Menschen untereinander unmittelbar betrifft.
Ethische Normen
Da laut islamischer Eigentums-Auffassung der Mensch die Rolle des Sachwalters der göttlichen Schöpfung inne hat und Gott über seinen Umgang mit eben dieser Schöpfung Rechenschaft ablegen muss, kann sein wirtschaftliches Agieren aber auch dem Bereich den ibadat zugeordnet werden. Die Rechenschaftspflicht vor Gott impliziert einen verantwortungsvollen Umgang mit der Umwelt und ihren Ressourcen, der auch den nachfolgenden Generationen ein Leben in der göttlichen Schöpfung ermöglichen soll. Der Islam steht jeglicher Form von Verschwendung, Ausbeutung, Ungerechtigkeit und Überfluss grundsätzlich ablehnend gegenüber.
Die wesentlichen Vorgaben für den Umgang mit Finanzen und wirtschaftliches Agieren werden aus Koran und Sunna gezogen. Häufig wird das Zinsverbot (riba) als zentrales und charakteristisches Merkmal des islamischen Finanzwesens genannt –zwar trifft es zu, dass aus den koranischen Angabenzu erschließen ist, dass Geld sich nicht aus Geld vermehren solle, weil es nicht als verhandelbares Gut anzusehen sei und somit allein für die Bereitstellung einer Summe sowie für die Verwahrung von Beträgen keine Leistung im Sinne von Zinsen gefordert oder erbracht werden dürfen.
Gerade aber im Zusammenhang mit der Performance islamischer Banken während der internationalen Finanzkrise müssen auch die weiteren Prinzipien beachtet werden: So ist aus muslimischer Sicht jegliche Form von erhöhtem Risiko und Spekulation (gharar) sowie Glückspiel (maysir) untersagt. Das gharar-Verbot besagt, dass keine Verträge abgeschlossen werden dürfen, die ein erhöhtes Maß an Risiko und Unsicherheit aufweisen – diese Unsicherheit kann auf den Vertragsgegenstand, aber auch auf die Vertragspartner bezogen sein. So ist kein Geschäft mit einem unbestimmten, nicht realen Vertragsgegenstand zulässig. Zudem greift bei jeder Transaktion der Grundsatz, dass man nicht befugt ist, etwas zuverkaufen, was man nicht tatsächlich besitzt – eine Maßgabe, die z.B. bei Finanzierungen mittels eines murabaha-Vertrags von wesentlicher Bedeutung ist.
Besondere Ansprüche
Auch an die Beteiligten werden entsprechende Ansprüche gestellt: Ein Geschäft mit einem Vertragspartner, dessen Verschuldungsgrad innerhalb eines Jahres 33% übersteigt, ist beispielsweise nicht zulässig, um nur eine der hier greifenden Regeln zu erwähnen. Die Betonung des stets erforderlichen realwirtschaftlichen Gegenstandes, der jeder Transaktion zugrunde liegen muss, kann als einer der maßgeblichen Gründe für das vergleichsweise unbeschadete Überstehen der Krise seitens islamischer Banken angesehen werden:
Hochspekulative Immobiliengeschäfte, wie sie in den USA getätigt wurden, ausufernde Kreditverkäufe und die ungleiche Risikoverteilung vieler konventioneller Finanzprodukte und Investmentfonds sind innerhalb des islamischen Finanzsystems schlicht nicht zulässig und wären somit nicht durchgeführt worden.
Realwirtschaftliche Perpektive
Die realwirtschaftliche Perspektive islamischer Banken und die damit einhergehende Transparenz ihrer Produkte steht somit im Gegensatz zu den oftmals unübersichtlichen Produkten konventioneller Anbieter, deren überhöhtes Maß an Risiko und Spekulation im Zuge der Krise zu hohen Verlusten führte.
Nicht abgeschottet
Nun agieren islamische Banken nicht isoliert von konventionellen Kapitalmärkten, so dass auch der Islamic Finance-Bereich im Zuge der Krise mit Verlusten zu kämpfen hatte. So waren unter anderem auch islamische Anleihen von den internationalen Einbrüchen betroffen: Diesen Anleihen muss stets ein realwirtschaftliches Anlagegut zugrunde liegen – in dem Falle, dass an eben diesem Anlagegut auch konventionelle Investoren beteiligt waren, die von der Krise unmittelbar betroffen waren, wirkte sich dies auch auf die islamische Anleihen.
Als nur ein Beispiel hierfür sei der in Dubai aufgelegte Nakheel Sukuk genannt, dem als Anlagegut Immobilien in Dubai zugrunde lagen – diese waren und sind bekanntermaßen begehrtes Objekt ausländischer, konventionell operierender Investoren waren.
Das islamische Finanzwesen präferiert zudem grundsätzlich Vertragsmodelle, die das Element des profit and loss-sharing aufweisen und somit ungerechte Risikoverteilung sowie Geschäfte, die sich zum Nachteil des Anderen auswirken können, vermeiden.
Sozialer Anspruch
Auch hier wird der soziale Anspruch des Systems deutlich, ökonomische Effizienz mit der Verantwortung des Einzelnen für die Gesellschaft zu verbinden, was auf die Nähe der islamischen Wirtschaftsauffassung zum Prinzip der Nachhaltigkeit hindeutet.
Folgt man der Definition der WCED aus den Jahre 1987, so ist unter Nachhaltigkeit eine Form des Handelns zu verstehen, die „den Bedürfnissen der heutigen Generation“ gerecht wird, „ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden“. Hierbei sollen ökonomische und soziale Aspekte miteinander verbunden werden. Betrachtet man die hier erläuterten Prinzipien des Islamic Finance vor diesem Hintergrund, so wird deutlich, dass sich der Nachhaltigkeitsgedanke hinsichtlich seiner ökonomischen und sozialen Dimension durchaus mit den islamischen Vorgaben wirtschaftlichen Agierens vereinbaren lässt, insbesondere dann, wenn man die islamische Auffassung von der göttlichen Einheit aller Dinge (tawhid) berücksichtigt, laut der alles, was zur Schöpfung gehört, gleichermaßen zu bewahren ist – der Koran ruft die Muslime auf, die göttliche Schöpfung nicht aus ihrer Balance zu bringen (Koran 7:56). Schaut man sich zudem jene Kriterien, die eine Beteiligung oder Investition von muslimischer Seite ausschließen an, so erschließt sich auch hier eine Perspektive, die einen langfristigen und sozial verträglichen Erfolg dem kurzfristigen und auf den Vorteil des Einzelnen beschränkten Gewinn vorzieht.
Nachhaltigkeit?
In der Theorie sind das System des Islamic Finance und dessen Strukturen also durchaus mit dem Prinzip der Nachhaltigkeit vereinbar – jedoch melden sich erste Stimmen aus Fachkreisen, die aufgrund des Booms, den die Branche derzeit erlebt, befürchten, dass der zunehmende Wettbewerb nicht nur mit islamischen, sondern auch mit konventionellen Anbietern eine Abkehr von den religiös begründeten Maximen und eine Nachahmung konventioneller Produkte zur Folge haben könnte.
Dies wäre fatal, verdankt doch der Islamic Finance-Sektor seine derzeit aufstrebende Position am Markt gerade dem Umstand, Alternativen zu jenen konventionellen Produkten zu bieten, die die Krise einst auslösten.
Einige Begrifflichkeiten erklärt:
 
riba Verbot, Zinsen zu fordern oder zu zahlen; u.a. heißt es in Sure 2:275 des Koran: “Gott aber hat den Handel erlaubt und denZins (riba) verboten“. Die Auffassung einiger muslimischer Gelehrter, dass es sich bei riba nicht um Zinsen, sondern lediglich um Wucher handele, wird von der Mehrheit abgelehnt.
gharar Spekulationsverbot, das aus der Sunna, der Überlieferung, hervorgeht und mit dem maysir-Verbot (s.u.) zusammenhängt. Überhöhte Unsicherheit, unklar definierte Vertragsgegenstände und Zahlungsmodalitäten werden abgelehnt. Aus dem gharar-Verbot resultiert u.a. auch das Verbot konventioneller Versicherungen, da hier eine Zahlung erbracht wird, ohne dass sicher ist, ob oder wann es zum Erbringen der Leistung kommen wird.
maysir Verbot von Glück- und Wettspiel. Gewinne, die aus Transaktionen erwirtschaftet werden, die Glückspiel- oder Wettcharakter haben, werden als unzulässig angesehen, da ihnen keine Leistung zugrunde liegt. Investition in und Handel mit haram-Produkten Zu den im Islam verbotenen (haram) Gütern zählen Produkte, die im Zusammenhang mit Alkohol, Tabak, Pornographie, Waffen, Schweinefleisch, u.a. stehen. Eine Bank darf demnach die Einlagen nicht in Unternehmen investieren, die mittel- oder unmittelbar mit derartigen Produkten Geschäfte tätigen.
Einige Vertragsmodelle islamischer Banken
musharaka Beteiligungsfinanzierung, ähnlich einem Joint- Venture, bei dem Bank und Kunde Kapital in eine gemeinsame Unternehmung einbringen und auch das Risiko teilen. Die jeweilige Gewinn- und Verlustbeteiligung wird im Voraus vereinbart.
mudaraba Ebenfalls eine Form der Beteiligungsfinanzierung, bei der jedoch der Kapitalgeber die Verluste zu tragen hat. Dafür übernimmt er aber auch die Rolle des Geschäftsführers. In den meisten Fällen stellt dabei die Bank das Kapital zur Verfügung, während der Kunde seine Arbeitskraft in die Unternehmung einbringt. Dieses Modell wird in der Praxis oft zur Unterstützung erfolgversprechender, aber mittelloser Unternehmen eingesetzt.
murabaha Das am häufigsten und am vielfältigsten in der Praxis angewandte Modell. Grundsätzlich geht es hierbei nicht um die Bereitstellung von Kapital, sondern um die Beschaffung von Gütern, die der Bank-Kunde benötigt. Die Bank erwirbt das benötigte Gut und verkauft es dem Kunden zu einem zuvor vereinbarten Preis mit einer Gebühr weiter. Das Modell kommt z.B. bei der Immobilienfinanzierung zum Einsatz In der gängigen Praxis wird das murabaha-Modell erweitert (tawarruq) und auch zur Bereitstellung von Kapital oder zur Vergabe von elektronischen Zahlungsmitteln verwendet.
Idjara Ähnlich dem konventionellen Leasing, bei dem der Vertragsgegenstand nach und nach in den Besitz des Kunden übergeht. Statt Zinsen wird hier ebenfalls eine Gebühr (mark-up) seitens der Bank erhoben.
sukuk Islamische Anleihen, bei denen keine Zinsen auf das investierte Kapital gezahlt werden und denen immer ein realwirtschaftliches Anlagegut (z.B. Immobilien- und Infrastrukturprojekte) zugrunde liegen muss.
 
Über die Autorin:
Bildschirmfoto 2014-06-01 um 11.07.55 Katharina Pfannkuch ist freie Journalistin, schreibt regelmäßig für ZEIT online und den Spiegel. Ihre Schwerpunkte sind unter anderem die Islamische Welt.