Wie sieht die Stadt der Zukunft aus. Wir erhält sich Lebensqualität? Wie kann man Stadtquartiere stabil halten? Das sind Fragen, die sich auch der Zentrale Immobilienausschuss jetzt im Rahmen eines Herbstdiskurses stellte.
Stadtquartiere erreichen nur dann eine hohe urbane Lebensqualität, Stabilität und Nachhaltigkeit, wenn sie über kurze Wege und eine ausgewogene Mischung der Nutzungsarten Wohnen, Büro und Einzelhandel verfügen. Das ist eines der Ergebnisse des aktuellen Herbstdiskurses, der jüngat auf einer Veranstaltung in Berlin vorgestellt wurde.
Die Immobilienspezialisten Manuel Jahn, GfK GeoMarketing, Michael Kiefer und Jan Hebecker von ImmobilienScout 24 sowie Andreas Schulten, bulwiengesa, und Prof. Dr. Harald Simons von empirica haben im Auftrag des ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V. maßgebliche Trends und Nutzeranforderungen im Wohn-, Büro- und Handelssegment identifiziert und ausgewertet.
Verdichtung ist gefragt
Dabei entstanden ist eine Diskussionsgrundlage, die aufzeigt, wie Städte in Zukunft geplant werden müssen und welche Immobilien- und Standortkonzepte funktionieren. „In den Regionen mit Engpässen müssen wir dichter bauen, der Platz ist rar und wir sind heute technisch in der Lage bei gleicher Qualität enger und höher zu entwickeln“, erklärte Dr. Andreas Mattner, Präsident des ZIA.
ZIA fordert Änderung der Baunutzungsverordnung (BauNVO), des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) und der TA Lärm
„Wir streben nach lebendigen Städten, in denen Arbeiten, Wohnen, Handel und Kultur ihren Platz finden. Zudem wollen wir möglichst kurze Wege, um die Erreichbarkeit der Innenstädte zu verbessern. Die Normsetzung in der BauNVO und im Immissionsschutz legen der Umsetzung dieser städtebaulichen Ideen aber immer wieder Steine in den Weg“, sagt Mattner. „Die Immissionsrichtwerte für Immissionsorte außerhalb von Gebäuden und der strikte Trennungsgrundsatz nach Paragraph 50 des BImSchG sind eine zu starke Einschränkung. Die hohen Baustandards insbesondere im Bereich der Schallisolierung ermöglichen bereits seit vielen Jahren die flexible Nutzungsmischung ohne Lärmbelästigung für Bewohner und Nutzer. Das wird in der Gesetzgebung bislang überhaupt nicht berücksichtigt. Die BImSchG und TA Lärm müssen dringend angepasst werden.“
Der Paragraph 17 der BauNVO, in dem die Obergrenzen der Grund- und Geschossflächenzahlen geregelt werden, stelle eine weitere Einschränkung dar. „Dieser Paragraph sollte vollständig in Frage gestellt werden. Die Obergrenzen lassen keine Nachverdichtung in den Innenstädten mehr zu. Dabei ist gerade jetzt die Entwicklung von neuem bezahlbaren Wohn-, Arbeits- und Lebensraum in den deutschen Großstädten zwingend erforderlich.“ Die Hochhausrichtlinien sollten ebenfalls auf den Prüfstand gestellt werden.
Mehr Mischgebiete
Der ZIA geht mit bei der Einführung des neuen Baugebietstyps „Urbanes Mischgebiet“, wenn darin explizit die Mischung aus typisch großstädtischen Wohn- und Arbeitsformen erleichtert wird. „Die bisherige Einordnung etwa in reine Wohngebiete oder Mischgebiete mit eingeschränkter Verwendung der Nutzungsarten ist nicht mehr zeitgemäß. Deutschlands Städte müssen die Möglichkeit haben, bezahlbares Wohnen, Arbeiten und Einkaufen in einem Quartier anzubieten“, meint Mattner. Allerdings dürfe die Einführung eines neuen Gebietstyps nicht zu weiteren Zwangsvorgaben und Quotenregelungen im Nutzungsmix führen. „Solche rigorosen Nutzungsdiktate verhindern individuelle und moderne urbane Konzepte und verschrecken Investoren. Das geschieht zum Leidwesen aller Bewohner einer Stadt.“
Auch der stationäre Einzelhandel bedürfe keiner weiteren Regulierung, um lebendig zu bleiben. Daher setze sich der ZIA für die Abschaffung von Sortimentsbeschränkungen ein.
Einseitige politische Förderung des Wohnungsbaus schadet ausgewogener Stadtentwicklung
Der Immobilienweise Prof. Dr. Harald Simons, Vorstand von empirica, betrachtet im Herbstdiskurs den politisch einseitig forcierten Wohnungsneubau in den als Wohn- und Arbeitsort besonders gefragten Schwarmstädten mit Skepsis: „Wenn andere Nutzungsarten benachteiligt werden, kann es passieren, dass der Wohnungsneubau an der Nachfrage vorbeigeht. Gesucht wird schließlich nicht einfach nur eine Wohnung, sondern eine Wohnung in einem lebendigen, urbanen Stadtviertel mit einer vielfältigen Mischung aus Wohnfolgeeinrichtungen wie einer öffentlichen sozialen Infrastruktur aus Schulen und Kindergärten sowie kleinteiligen Gewerbeeinheiten, die im Wesentlichen aus Büros, Einzelhandel und Gesundheitsdienstleistungen bestehen.“
Bürger wollen Nahversorgung im Umkreis von 400 Metern
Jan Hebecker, Leiter Märkte und Daten bei ImmobilienScout24, hat sich mit der Wohnungsnachfrage auseinandergesetzt und bestätigt: „Die meisten Menschen möchten zentrumsnah und urban wohnen“, sagt Hebecker. [blockquote pull=““ align=“left“ attributed_to=“Jan Hebecker, Leiter Märkte und Daten bei ImmobilienScout24″ attributed_to_url=“{{attributed_to_url}}“]„Das entscheidende Kriterium ist die fußläufige Erreichbarkeit der wichtigsten Versorgungseinrichtungen. Als nah werden dabei Entfernungen bis rund 400 Meter eingeschätzt. Für alles, was mehr als 1.200 Meter entfernt liegt, wird die Benutzung eines Verkehrsmittels notwendig[/blockquote].“ Die innerstädtische Büronutzung bewege sich in einem Spannungsfeld zwischen teureren kleinteiligeren Gebäuden sowie preiswerteren Flächen in nicht mehr genutzten Gewerbehöfen, Fabrikhallen und Ladengeschäften – beides vorzugsweise in der Nähe von beliebten Wohnquartieren – und standardisierten größeren Gebäuden in konventionelleren Bürolagen.
Wohnen verdrängt Gewerbe aus den Innenstädten
Andreas Schulten, Vorstand von bulwiengesa, warnt vor Engpässen im Gewerbesegment: „Zurzeit ist innerstädtisch eine deutliche Verdrängung von gewerblichen Nutzungen wie Büro und Produktion zu beobachten. Durch die mangelnde baurechtliche Flexibilität droht das Verhältnis zwischen Wohnen und gewerblicher Nutzung aus dem Gleichgewicht zu geraten.“ Diese Verdrängung steht dem Trend zur Quartiersbildung in den deutschen Großstädten entgegen. Zwischen 2004 und 2014 kamen per Saldo 370.000 Bürobeschäftigte in den sieben A-Städten als Flächennachfrager auf den Markt. „Neben konventionellen Arbeitsplätzen entwickeln sich immer neue Formen der Beschäftigung auf der Nahtstelle zwischen Konzeption, Kommunikation, Verwaltung und Manufaktur auf dem Arbeitsmarkt“, sagt Schulten. „Dauerhafte Flächenengpässe in diesen Bereichen werden dazu führen, dass die Wirtschaftsentwicklung der Städte gehemmt wird.“
Handlungsdruck im Einzelhandelssegment
Über die Zukunft des traditionell sehr beweglichen und innovativen, aber durch den Onlinehandel unter Druck stehenden stationären Einzelhandels werden ebenfalls die Nutzungsmischung, Nutzungsdichte und die durch das Baurecht begrenzte Nutzungsoffenheit in den Stadtquartieren entscheiden. „Verkehrliche, planungs- und ordnungsrechtliche Restriktionen sind für das überlebenswichtige Innovationspotenzial des stationären Einzelhandels die größte Gefahrenquelle“, sagt Manuel Jahn, Leiter Real Estate Consulting bei der GfK. „Es ist bezeichnend, dass die Verkaufsfläche in den Kernlagen der 82 bundesdeutschen Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern im Zeitraum 2010 bis 2014 trotz der Einflüsse des Online-Handels um etwa sieben Prozent gestiegen ist.“ Die Frage, wie die qualitative Nachfrage nach integrierten Lagen auch künftig gewährleistet werden könne, werde an Brisanz zunehmen, da bisher ein Großteil der Zusatznachfrage noch durch innerstädtische Einkaufszentren absorbiert werde. „Einzelhandel, Immobilienwirtschaft und öffentliche Akteure, aber auch der Gesetzgeber, sind gut beraten, wenn bei der Planung zukunftsweisender Quartiere, Straßen und Gebäude die Belange des Einzelhandels frühzeitig berücksichtigt werden“, sagt Jahn weiter.
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