Nachhaltigkeit, ob bei Lieferketten, in der Führung oder in der Ökonomie ist bei Großunternehmen –  aber auch im Mittelstand – inzwischen State of the Art. In der Startup-Szene und auch in der Venture Capital ist das Thema noch nicht richtig angekommen.

Bei den Themen Nachhaltigkeit, Purpose und sustainable Leadership gibt es bei Gründern, aber auch bei VCs durchaus Luft nach oben. Nun haben die Nachhaltigkeitsberatung akzente, der Startup Accelerator TechFounders und die Venture-Capital-Firma UVC Partners einen Leitfaden für Startups und Venture Capital Firmen entwickelt. Die Sustainability Playbooks sollen für beide Perspektiven eine konkrete Hilfestellung und praktische Tipps liefern, das Thema gezielt anzugehen. Wie ernsthaft ist dieser Ansatz oder handelt es sich um „greenwashing“? Das wollten wir von Dr. Anne von Wolff, Investment Associate, UVC  und Dr. Thomas Melde,  Managing Partner bei akzente, einer führenden Nachhaltigkeitsberatungsgesellschaft, im Interview wissen.

FAIReconomics: Startups beschäftigen sich bei ihren Produktideen möglicherweise mit der Nachhaltigkeit ihres Produktes, aber nicht immer unbedingt mit der eigenen Nachhaltigkeit. Sie als Venture Capitalists haben jetzt ein Playbook als Leitfaden entwickelt, was beinhaltet dieses Playbook konkret?

Dr. Anne von Wolff: Mit den Sustainability Playbooks richten wir uns gezielt an Startups und Venture Capital Fonds mit auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnittenen Ansätzen. Dabei behandeln wir Nachhaltigkeit nicht nur im klassischen Sinne als Risikothema, sondern vor allem auch als Quelle von Innovation, Differenzierung und damit Business Upside. Die Sustainability Playbooks bieten die jeweils passenden Methoden, Fallstudien, und Quellen, um sich als Startup bzw. Venture Capital Fonds strategisch der Nachhaltigkeit zu nähern, und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Dies schließt explizit Best Practices in Bezug auf die eigene Nachhaltigkeit mit ein.

FAIReconomics: Große Vermögensverwalter, wie zum Beispiel BlackRock, setzen inzwischen nicht nur auf klassische Nachhaltigkeit, sondern auf die sogenannten ESG, also die unterschiedlichen Dimensionen der Nachhaltigkeit: Umwelt (Ecological), Soziales (Social) und die Grundsätze guter Unternehmensführung (Governance). Sind diese in Ihren Playbooks berücksichtigt?

Dr. Thomas Melde: Wenn wir von Nachhaltigkeit sprechen, dann meinen wir dasselbe wie BlackRock und andere unter dem Begriff ESG. Egal was auf dem Etikett steht, letztlich geht es immer um die Sicherung der Zukunftsfähigkeit gesellschaftlich und ökologisch eingebetteten Wirtschaftens. Auch BlackRock hat mittlerweile erkannt, dass Unternehmen, die nicht nachhaltig wirtschaften, im Zweifelsfall schlechtere Zukunftschancen haben als solche, die ihr Handeln unter anderem mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen abgleichen.

Dr. Anne von Wolff: Mit den Sustainability Playbooks legen wir uns auch bewusst nicht auf ein bestimmtes Framework fest. Vielmehr sollte jeder den für seinen geschäftlichen und strategischen Kontext passenden Fokus identifizieren. In Anbetracht der Tatsache, dass Startups sich sehr ressourceneffizient organisieren müssen, setzen die Sustainability Playbooks auf einen zielgerichteten, schlanken Ansatz, der nach strategischen Synergien, aber auch nach dem Impact und der Wirksamkeit der Maßnahmen priorisiert.

FAIReconomics: Sie sprechen insbesondere auch Portfoliounternehmen an. Liegt das daran, dass sie als VC Geber insbesondere auf dies Zugriff haben? Und sollen diese von Ihnen entwickelten Playbooks sozusagen zu einem gemeinsame Standardwerk Szene werden?

Dr. Anne von Wolff: Wir sehen uns als VC tatsächlich in einer verantwortungsvollen Rolle und möchten daher das Thema Nachhaltigkeit in der Branche weiter voranbringen. Das hat uns dazu bewogen, in Kooperation mit TechFounders und akzente unser Wissen und unsere Erfahrungen zu bündeln und der gesamten Branche zugänglich zu machen. Wir sehen darin die Chance, die Nachhaltigkeitspraxis branchenweit weiterzuentwickeln. Dabei beanspruchen wir aber nicht, Standards zu setzen. Das wäre auch angesichts der Vielzahl an parallelen und sehr beachtenswerten Initiativen vermessen. Vielmehr sollen sich Standards im kontinuierlichen Austausch und Konsolidieren von Erfahrungen beständig weiterentwickeln und etablieren. Dazu leisten wir mit den Sustainability Playbooks einen Beitrag.

Dr. Thomas Melde: Dem kann ich nur zustimmen. Wir erleben im Kontext von großen und etablierten Unternehmen seit vielen Jahren, wie eine Vielzahl häufig auch konkurrierender Standards eher dazu führt, Listen mit Anforderungen abzuarbeiten, als sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Standards sind sicherlich kein Schaden, aber angesichts der Geschwindigkeit, mit der wir uns gegen den Klimawandel oder den Verlust der biologischen Vielfalt stemmen müssen, setzen wir eher auf die Innovationskraft von Startups. Um diese in die “richtige” Richtung zu kanalisieren, bieten die Sustainability Playbooks eine Vielzahl von Hilfestellungen und Anwendungsbeispiele, aber kein “Schema F”.

FAIReconomics: Wie ist Ihre Definition von nachhaltigem Denken und wie stellen Sie sicher, dass es sich nicht um Greenwashing handelt?

Dr. Thomas Melde: Wer als Startup oder VC nachhaltig denkt, trifft Entscheidungen unter Berücksichtigung planetarer Belastungsgrenzen und Fragen sozialer Gerechtigkeit. Bei der Bewertung, ob diese Entscheidungen nachhaltigen Kriterien genügen, haben wir heute eine Ernsthaftigkeit erreicht, die Greenwashing zu einer ausgesprochen unklugen Strategie macht. Insofern vertraue ich da auf die Klugheit der Startups. Sicherheitshalber gehen wir in den Sustainability Playbooks aber auch darauf ein, auf was es bei transparenter Nachhaltigkeitskommunikation ankommt.

Dr. Anne von Wolff: Letztlich ist die Motivation der Akteure, etwas zu verändern, entscheidend. Diese kann wahrscheinlicher geweckt werden, wenn der mögliche disruptive Charakter einer Nachhaltigkeitsstrategie offenkundig wird. In einem dediziert für Startups entwickelten Workshop-Format legen wir Wert darauf, auf diesem Wege die Motivation der Gründer zu wecken oder verstärken.

FAIReconomics: Sind die von Ihnen entwickelten Playbooks Empfehlungen oder werden Sie diese auch zum festen verpflichtenden Bestandteil einer Finanzierungsentscheidung bei einem möglichen Portfoliounternehmen machen? Wie werden die Kriterien überwacht und durch wen werden sie überprüft?

Dr. Anne von Wolff: Die Playbooks selbst sind Empfehlungen, unabhängig davon möchten wir, dass unsere Gründer bei unserem Erstinvestment ein Commitment, eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie entwickeln. Dies wird auch entsprechend in den Beteiligungsverträgen festgehalten. Die in der individuell ausgearbeiteten Nachhaltigkeitsstrategie festgesetzten Ziele und Meilensteine werden dann regelmäßig im Advisory Board durch einen zuvor benannten Verantwortlichen berichtet und diskutiert. Zusätzlich bewerten wir vor Investment den Sustainability Impact des Investmentkandidaten auf Basis der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Dieser muss in Summe positiv sein und es darf keinen deutlich negativen Impact in einer einzelnen Dimension geben.

FAIReconomics: Gerade in der Krise und COVID 19 hat sich der Anspruch an Leadership verändert. Welche Bedeutung haben für Sie Nachhaltigkeit und Leadership speziell in der Startup Szene und was muss ein Gründer mitbringen, um diesen Nachhaltigkeitskriterien, die Sie entwickelt haben, zu entsprechen? Und bieten Sie eventuell ihren Unternehmen entsprechende Businesscoachingprogramme an, um die Leader in diesen Themen fit zu machen?

Dr. Anne von Wolff: Wir investieren in Gründer, weil wir ihr Talent und Potential sehen und möchten sie dabei unterstützen, dieses weiter zu entwickeln. Wenn Gründer eine Haltung haben oder einnehmen, die mit einer gewissen Lernbereitschaft und Offenheit für neue Erkenntnisse und gleichzeitig einer entschlossenen Bereitschaft zu zielorientiertem Handeln und Verantwortungsübernahme einhergeht, sehen wir das als Vorteil: Nicht im Besonderen für das Thema Nachhaltigkeit, sondern wie in allen anderen Bereichen auch – sei es Leadership, Branchenkenntnis oder fachliche Kompetenz – als gute Ausgangslage, um als erfolgreicher Unternehmer in Zukunft diese Felder zu meistern. Man könnte sogar sagen, dass Gründer mit dieser Haltung prädestiniert sind, das Thema Nachhaltigkeit in der Wirtschaft tief zu verankern, sofern sie es sich selbst zum Ziel setzen. In Kooperation mit UnternehmerTUM Trainings und der Nachhaltigkeitsberatung SYSTEMIQ unterstützen wir hier gezielt mit einem Coaching-Workshop-Format, das die Gründer befähigt, eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie zu formulieren.

Dr. Thomas Melde: Mir ist da auch gar nicht bang. Meine Erfahrung aus der Zusammenarbeit mit Startups ist, dass das Verständnis für die Herausforderungen unserer Zeit bei Gründern enorm ausgeprägt ist – und oft genug sogar den Gründungsimpuls gab. Woran es manchmal noch ein wenig fehlt, ist das Handwerkszeug, wie ich das weiche Thema Nachhaltigkeit mess- und steuerbar bekomme. Dabei helfen die Sustainability Playbooks – und Trainings schaden ganz sicher auch nicht. 

FAIReconomics: Sie treten selten als sogenannter Lead Investor auf, sondern häufig eher als Co-Investor. Wie setzen Sie Ihr nachhaltiges Anliegen gegenüber den Co-Investoren durch?

Dr. Anne von Wolff: Das ist so nicht ganz korrekt: In der Mehrzahl der Fälle sind wir bei Erstinvestment Lead Investor. Allerdings ist in jeder Konstellation entscheidend, dass das Nachhaltigkeitsthema in der Breite von den Gründern und anderen Investoren mitgetragen und als wichtig eingestuft wird. Wir haben bisher die Erfahrung gemacht, dass hierfür selten sehr viel Überzeugungsarbeit nötig ist – in der Regel trifft unser Anliegen bei Gründern und auch Mitinvestoren auf offene Ohren. Die größere Herausforderung ist die Priorisierung der Nachhaltigkeitsstrategie in Anbetracht der Vielzahl an Aufgaben und Zielen, die ein Startup nach einer erfolgreichen Finanzierungsrunde in Angriff nimmt. Hier können wir über vertragliche Fristen und im Advisory Board auf eine Priorisierung hinwirken, viel wichtiger und zielführender ist aber, dass wir die Gründer effizient befähigen, eine wirksame Nachhaltigkeitsstrategie mit möglichst überschaubarem Aufwand zu formulieren. Dafür sollen die Sustainability Playbooks und unser zuvor beschriebener Workshop eine Grundlage legen.

 

Anne von Wolff

Dr. Anne von Wolff (Investment Associate, UVC)

Nach einer neurowissenschaftlichen Promotion wechselte Anne in die Management-Beratung Altman Solon mit Schwerpunkt auf strategischen Projekten und Transaktionen. Seit Oktober 2017 arbeitet sie für UVC Partners als Investment Associate und treibt in dieser Funktion die operative Umsetzung der ESG-Strategie von UVC voran.

Die Sustainability Playbooks versteht Anne als wichtigen Schritt, um die Nachhaltigkeitsperspektive zum festen Teil des Tagesgeschäfts von Venture Capital Fonds und Startups zu machen. Dies gelingt aus ihrer Sicht nur mit einem größeren Bewusstsein für das sich daraus ergebende Innovationspotenzial und die damit verbundenen wirtschaftlichen Chancen sowie einem stetigen Austausch von Know-how und Best Practices.

 

Dr. Thomas Melde

Dr. Thomas Melde (Managing Partner, akzente)

Nach beruflichen Stationen im Auswärtigen Amt und der UNESCO, wo er die Gründung des UN Global Compact miterlebte, übernahm Dr. Thomas Melde vor zehn Jahren die Co-Geschäftsführung von akzente. Als langjähriger Nachhaltigkeitsexperte ist er zudem als Lehrbeauftragter an der Universität St. Gallen aktiv.

In dem Projekt Sustainability Playbooks sieht er die Möglichkeit, Nachhaltigkeit bei Gründern bereits in der frühen Phase in Geschäftsprozesse zu integrieren und dabei mitzuwirken, Barrieren und Herausforderungen zu überwinden.

Weitere Informationen unter 

www.sustainability-playbooks.com