Eine Umfrage unter Schülerinnen und Schülern beim Konstanzer „Fridays for Future“-Schulstreik zeigt: Die junge Generation ist politisch, wissbegierig und idealistisch. Viele der bis zu 2.000 Demonstrierenden in Konstanz sind gern bereit, nicht nur Unterricht zu versäumen, sondern auch Strafen in Kauf zu nehmen, um für ihre Sache einzutreten. Einfach mal die Schule schwänzen? Darum geht es der überwältigenden Mehrheit überhaupt nicht, wie das Team von Sebastian Koos vom Exzellenzcluster „Politische Dimension von Ungleichheit“ der Universität Konstanz zeigen konnte.
Die „Fridays for Future“ sind in aller Munde, kaum einer, der keine Meinung dazu hätte. Manche Schulen verbieten, manche erlauben, die Kanzlerin lobt, und mittendrin sind die Schülerinnen und Schüler, die zu Tausenden auf die Straße gehen, um für Nachhaltigkeit und einen anderen Umgang mit dem Klimawandel zu demonstrieren.
Wissenschaftlich fundiert aber konnte man bisher wenig zu den streikenden Schülerinnen und Schülern und ihrer Motivation sagen. Für Wissenschaftler ist es manchmal nicht einfach, am tagesaktuellen Geschehen dranzubleiben. Forschung benötigt Vorlauf, die Vorbereitung einer Studie erfordert oft lange, harte Arbeit. So fällt es gelegentlich auch den in der Öffentlichkeit gefragten Experten unter den Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern schwer, auf jüngste Entwicklungen mit fundierten Einschätzungen und Empfehlungen zu reagieren. Da ist es ein seltener Glücksfall, wenn ein bereits angelaufendes Projekt gut zu einem gerade ganz aktuellen Thema passt und auch noch Freiheitsgrade vorhanden sind, um flexibel zu reagieren.
So geschehen mit einem Projekt des Konstanzer Soziologen und Organisationsforschers Sebastian Koos. Er untersucht in seinem von der Robert-Bosch-Stiftung geförderten Projekt „Our Common Future: Warum engagieren sich Menschen für Nachhaltigkeit?“ Motive und Barrieren nachhaltigen Handelns bei jungen Menschen. In diesem Projekt erstellen Wissenschaftler, Studierende, Schülerinnen und Schüler gemeinsam Umfragen, die untersuchen, wie junge Menschen zu nachhaltigem Kleidungs- und Nahrungsmittelkonsum stehen und sich für Nachhaltigkeit engagieren.
„Dann nahm die Fridays-for-Future-Bewegung Fahrt auf“, erzählt Koos. „Der geht es genau um die Dinge, die wir untersuchen wollen. Also haben wir beschlossen, die Schülerinnen und Schüler direkt während eines Streiks zu befragen.“ Am 15. März 2019 kam es zur bisher größten Kundgebung in der Region. Bis zu 2.000 Schülerinnen und Schüler vorwiegend der Gymnasien, aber auch der Real-, Gemeinschafts- und Waldorfschulen, dazu zahlreiche Studierende gingen in der Konstanzer Innenstadt auf die Straße. 145 Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden im Rahmen der Studie befragt.
„Die üblichen kleinen Belohnungen für ausgefüllte Fragebögen haben wir gar nicht gebraucht“, berichtet die Studierende Franziska Lauth, die die Befragung mitkoordinierte. „Wir haben etwa jeden Zehnten dort befragt. Die Schüler waren froh, dass mal jemand nachhakt und wirklich fundiert wissen will: Wer seid Ihr eigentlich, woher kommt Ihr? Warum macht Ihr das? Und: Habt Ihr nicht Angst vor Strafen in der Schule?“
Schüler wollen was bewegen
Die Ergebnisse der ad-hoc-Studie zeigen: Die Demonstrierenden sind engagiert, informieren sich und wollen etwas bewegen. Insbesondere der oft gehörte Vorwurf, die gute Sache sei nur ein Deckmantel für massenhaftes Schuleschwänzen, findet sich in der Umfrage nicht bestätigt: Über 95% der Befragten waren der Meinung, ihr Engagement könne etwas verändern – aber nur jeder Zehnte fand auch, es sei außerdem eine gute Gelegenheit zum Schwänzen. Die große Mehrheit (83%) verpasste zwar Unterricht, aber das war für sie ebenso zweitrangig wie das Teilnahmeverbot durch die Schule, das immerhin fast die Hälfte der Demonstrierenden betraf. Die Schülerinnen und Schüler sind sogar bereit, Sanktionen wie Nachsitzen in Kauf zu nehmen, mit denen mehr als ein Drittel der Befragten durchaus rechnete.
Woher kommt diese Bereitschaft, dieser Einsatz? Sebastian Koos erklärt es sich so: „Das Fundament ist da: Schülerinnen und Schüler sind heute gut informiert, an Nachhaltigkeitsthemen interessiert und über den Zustand der Welt empört. Ein großer Teil der Befragten sagt, sie hätten sich auch schon vor Beginn der Bewegung mit dem Klimawandel auseinandergesetzt. Viele waren bereits politisch engagiert, hatten etwa schon an einer Demonstration oder Petition teilgenommen. Es brauchte nur ein Vorbild wie die schwedische Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg und eine wirksame Protestform: den Schulstreik. Der ‚Greta-Effekt‘, die Überzeugung, dass das eigene Engagement etwas bewirken kann, ist dann ein wichtiges Motiv für die Teilnahme am Schulstreik. Außerdem bekommen die jungen Leute viel Rückendeckung von ihren Eltern und trotz offizieller Verbote sogar von zahlreichen Lehrern. Unsere Umfrage zeigt, dass die Mobilisierung vor allem in der Schule (45%), über Freunde (60%) und über Aufrufe in sozialen Netzwerken (75%) geschieht.“
Die Konstanzer Wissenschaftler hoffen, dass sie mit ihren Umfragen einen Beitrag zur Versachlichung der teils schrillen Debatte um die schuleschwänzenden Demonstranten leisten können. Wenn am 29. März die nächste große Schülerdemo in Konstanz erwartet wird, wollen mehr als acht von zehn Befragten wieder streiken gehen – unterstützt von immer mehr Eltern, Lehrern, Wissenschaftlern und Studierenden.