In manchen sind nur wenige Milliliter enthalten, in anderen ein viertel Liter. Schon an Bord wurde das Mündungswasser des Amazonas schockgefroren bei teilweise minus 80 Grad Celsius. Jetzt lagert die Flüssigkeit in den Gefriertruhen des Ocean Lab der Jacobs University – in hunderten von kleinen Flaschen. Nicht weit entfernt werden die Sedimentproben vom Meeresboden aufbewahrt, in kleinen Dosen, 100 Gramm schwer. Gezählt hat sie niemand, aber es dürften wohl mehrere Tausend sein. „Sie werden uns einige Jahre beschäftigen“, sagt Andrea Koschinsky, Professorin für Geochemie an der Jacobs University.
Die Proben sind die Ausbeute der Fahrt M 147 mit dem Forschungsschiff Meteor in das Mündungsbecken des wasserreichsten Flusses der Welt. Unter Leitung von Koschinsky und Professor Martin Frank vom GEOMAR-Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung Kiel hielt sich ein Team von Wissenschaftlern im April mehrere Wochen in der Region auf. Der fast 7000 Kilometer lange Fluss transportiert große Mengen an gelösten Metallen wie Eisen oder Kupfer und organische Substanzen weit ins Meer hinaus. Den Stoffkreislauf besser zu verstehen, den Ist-Zustand festzustellen, um auch Veränderungen durch menschliches Handeln erkennen zu können, darum ging es den Forschern
Forschungsreise ist Erfüllung eines Traums
Für Andrea Koschinsky war die Forschungsreise die Erfüllung eines Traums. Die erfahrene Wissenschaftlerin war schon oft auf den Ozeanen unterwegs, noch nie aber im Mündungsbereich des Amazonas. „Die Region mit ihrem riesigen Regenwaldsystem fasziniert mich“, sagt die 54-Jährige, die auch schon am Zusammenfluss des Rio Negro und des Rio Solimões unweit der Dschungelstadt Manaus zum Amazonas geforscht hat. Der Solimões entspringt in den Anden, er führt Gesteins-Schwebstoffe mit, die sein Wasser hell färben. Der Negro hingegen kommt aus dem Regenwald, sein Wasser ist dunkel, sauer und reich an organischem Material. „Wenn sie zusammenfließen ist das wie in einer chemischen Fabrik: Zwei unterschiedliche Systeme reagieren so lange, bis das Gesamtsystem wieder in einem neuen Gleichgewicht ist“, sagt Koschinsky.
Nicht viel anders ist es beim Aufeinandertreffen von Amazonas und Atlantik mit ihren unterschiedlichen pH-Werten. Das Süßwasser des Flusses ist reich an organischen Stoffen, anders als das Salzwasser des Meeres. „Für die biologischen Kreisläufe des Atlantik ist der Amazonas der wichtigste Zuträger“, sagt Koschinsky. Bis zu 200.000 Kubikmeter pro Sekunde strömen während der Regenzeit ins Meer. Diese enormen Massen bilden eine weit mit der Strömung nach Norden verdriftende Fahne, in der die chemischen und biologischen Prozesse mehrere hundert Kilometer weit über das Mündungsgebiet hinaus von den mit dem Flusswasser eingetragen Nährstoffen, Metallen und Partikeln beeinflusst werden. Sowohl im Fluss als auch in der Mischzone von Salz- und Süßwasser nahmen die Wissenschaftler Proben in verschiedenen Wassertiefen.
Für die Besatzung um Kapitän Hammacher und die Forscher an Bord der Meteor erwies sich die Kraft des Amazonas bald als Herausforderung. Nicht verzeichnete Untiefen im Fluss erschwerten die Navigation, das braune Flusswasser brachte die Filter schnell an ihre Belastungsgrenze, die Tide bewegte sich so schnell, dass die Beprobung entlang der Linien des sich ändernden Salzgehaltes zu einem Wettlauf mit der Zeit wurde. Nächtliche, intensive Fischereiaktivitäten hielten insbesondere die Besatzung in Atem.
Auch die Logistik im Anschluss an die Fahrt erwies sich als fordernd. Um die wertvollen Proben sicher nach Hause zu bringen, blieben sie in den Kühl- und Gefrierräumen der Meteor, bis diese im Sommer den Hafen von Las Palmas auf Gran Canaria erreichte. Von dort wurden sie per Kurierdienst in die deutschen Forschungszentren geliefert, unter Wahrung der Kühlkette, damit die labilen Verbindungen in den gefrorenen Wasserproben nicht beschädigt werden. Die weniger anfälligen Sedimentproben wurden im Container transportiert.
„Jede Probe ist ein Puzzlestück in einem Puzzle mit weit über 1000 Teilen“, sagt Andrea Koschinsky. Mit der Analyse der Proben, mit der Erzeugung eines Teils des Puzzles, sind gleich mehrere Studierende der Jacobs University im Rahmen von Bachelor-Arbeiten befasst. Dass sie an Forschungsprojekten beteiligt sind, ist eine Besonderheit der privaten Universität. „Oft entstehen daraus Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Fachmagazinen“, erzählt Koschinsky.
Analyse braucht Geduld
Die Analyse der Proben ist zeitaufwändig, sie erfordert Geduld und Sorgfalt. Bis jedes Puzzlestück erzeugt und zu einem Gesamtwerk zusammengesetzt ist, dauert es Jahre. Aber eben um ein Gesamtbild der Stoffaustauschprozesse in der Amazonas-Mündung geht es den Wissenschaftlern. Die auf der Fahrt entnommenen Proben spiegeln jedoch nur eine Momentaufnahme wieder, die nicht repräsentativ ist für größere Zeiträume. Um Veränderungen, um den Einfluss von Abholzung, Bau von Staudämmen oder Goldabbau im Amazonas auf die Stoffwechselprozesse feststellen zu können, braucht es weitere Messungen – und auch zu einer anderen Zeit, in der weniger Wasser fließt. Diesmal waren Andrea Koschinsky und ihre Kollegen zur Regenzeit unterwegs. Nächstes Mal sollte es zur Trockenzeit sein. Die Forscherin bereitet gerade die nächste Beprobungskampagne vor, sie schreibt gerade an einem neuen Förderungsantrag. Ende 2020, so ihr Wunsch, könnte es wieder zum Amazonas gehen.
Über die Jacobs University Bremen:
In einer internationalen Gemeinschaft studieren. Sich für verantwortungsvolle Aufgaben in einer digitalisierten und globalisierten Gesellschaft qualifizieren. Über Fächer- und Ländergrenzen hinweg lernen, forschen und lehren. Mit innovativen Lösungen und Weiterbildungsprogrammen Menschen und Märkte stärken. Für all das steht die Jacobs University Bremen. 2001 als private, englischsprachige Campus-Universität gegründet, erzielt sie immer wieder Spitzenergebnisse in nationalen und internationalen Hochschulrankings. Ihre mehr als 1400 Studierenden stammen aus mehr als 100 Ländern, rund 80 Prozent sind für ihr Studium nach Deutschland gezogen. Forschungsprojekte der Jacobs University werden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder aus dem Rahmenprogramm für Forschung und Innovation der Europäischen Union ebenso gefördert wie von global führenden Unternehmen.
Wissenschaft braucht einen langen Atem. Von ihrer Forschungsreise an die Amazonas-Mündung kehrte Prof. Dr. Andrea Koschinsky, Geochemikerin an der Jacobs University Bremen, mit Tausenden von Proben zurück. Ihre Auswertung dauert Jahre.
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