Regelmäßig befragt FAIReconomics Professor Dr. Ingo Rollwagen im Rahmen von FAIReconomics Futuresight zu Fragen der zukünftigen Entwicklung unserer Gesellschaft und der Digitalisierung.
In dieser Ausgabe fragen wir nach Künstlichen Intelligenz und ihrer Rolle bei Entscheidungen, die wir in einer digitalisierten Welt treffen.
In Unternehmen, Verwaltungen und unserem täglichen Leben gewinnt KI an Bedeutung. Den wenigsten ist bewusst, dass bei Internetsuchen, in Online-Shops oder bei Sprachassistenten schon jetzt Verfahren der Künstlichen Intelligenz genutzt werden. Grundlage dieses Erfolgs sind Innovationen in der Prozessor- und Speichertechnologie, im Cloud Computing, der Sensorik, dem Internet der Dinge und der Robotik. Bislang wurden IT-Systeme vollständig programmiert, die jetzigen KI-Systeme lernen selbst, was andere programmiert haben und entwickeln sich selbst weiter. Die Befürworter der Technologie sagen immer, sie unterstützen uns Menschen in unserer Entscheidungsfindung. Aber inwieweit kann KI das tatsächlich? Denn die Datengrundlage ist doch eher rückwärts orientiert und nicht in die Zukunft hinein….
Professor Dr. Ingo Rollwagen: Wir kennen alle diese Situation: Wir stehen vor einer Entscheidung, welches Produkt wir kaufen sollen, welchen Weiterbildungskurs wir machen sollen, wie wir unser Leben weiter mit wem, mit welchen Freunden führen wollen.
Und es gibt immer mehr attraktive Produkte, interessante Kurse und scheinbar so viele neue Möglichkeiten, denn die sozialen Medien schlagen uns zudem so viele neue Bekanntschaften durch Bekannte unserer Bekannten vor. Wir alle sind mit dieser Komplexität konfrontiert, wir haben die Qual der scheinbar größeren Wahl. Parallel sind wir jedoch froh, wenn wir Unterstützung für unsere Entscheidungen erhalten.
Eine Vielzahl an algorithmischen Innovationen, in denen Formen der Künstlichen Intelligenz eingesetzt werden helfen uns dabei. Informationen werden inzwischen schneller und situationsbedingter ausgewertet, etwa weil uns der Preis oder die Leistungsfähigkeit eines Produktes interessiert und vor allem, was andere Nutzer dieses Produktes darüber denken. Die Auswahl der Daten und Informationen jedoch und vor allem die „richtige“ Entscheidung hängen von unseren Präferenzen, unseren Wünschen und auch von unseren bisherigen Entscheidungen und der daraus folgenden Prägung und Charakter ab, die/den wir als Menschen ausbilden.
KI lenkt uns durch Informationsmassen
Formen der Künstlichen Intelligenz als Formen von Wissenstechnologien führen uns durch einen großen Wust von Informationen – schneller als je zuvor – nach eigenen Regeln und Algorithmen, die wir bzw. die Programmierer erarbeitet haben, auszuwählen. KI kann vor Entscheidungen besser informieren und besser unterstützen. So ist Ärzten der Zugriff auf eine größere Datenbasis möglich, sie können auf Informationen und Wissen anderer Kollegen zurückgreifen, die beispielsweise helfen, noch bessere Diagnosen zu stellen oder neue Zusammenhänge zu erkennen. In diese Richtung sollten wir KI nutzen und weiterentwickeln.
Wie wichtig es ist, das wir zunehmen wissen müssen, wie unsere Daten verarbeitet werden, lässt sich an einem Beispiel gut verdeutlichen: Für Entscheidungen in allen Lebenslagen, ob für Politiker, wie auch für uns als Kunden, die wir eine Entscheidung über unser Leben treffen wollen oder lediglich ein neues Produkt kaufen wollen, oder einen Weiterbildungskurs buchen wollen, ist es mehr denn je notwendig zu wissen und zu antizipieren, über welche Zusammenhänge nseres Lebens und unseres Verhaltens Daten und Informationen vorhanden sind.
Mag es bei Produktpreisvergleichen noch in Ordnung sein, wenn wir genau wissen, warum wir diese Produkt brauchen, ist dies bei einer Entscheidung für den Weiterbildungskurs schon schwieriger: Denn die vorher programmierten Algorithmen schneidern die Angebote nicht exakt auf uns zu, sondern orientieren sich an dem was durchschnittlich zu einem Durchschnitt der Menschen passt.
Und noch wichtiger ist die Transparenz über die Quantität und Qualität der vorhandenen Daten und das Wissen um die Regeln Algorithmen und das Wissen, auf dem die Unterstützung durch Algorithmen basiert ist, wenn es um neue Bekanntschaften oder persönliche Beziehungen geht.
Um dies zu verdeutlichen: Bis vor einigen Jahren konnten wir vorher nachvollziehen, von wem, beziehungsweise aus welcher Quelle Wissen stammte und mit welcher Tradition dies geschaffen wurde. Meines Erachtens ist dies unerlässlich. Heute hingegen wissen wir oft nicht mehr, wer für uns welches Wissen und Informationen nach welchen Regeln aufgearbeitet hat.
Wenn wir heute beispielsweise auf sozialen Plattformen wie Youtube zusätzliche Informationen und Videos angeboten bekommen, so macht dies natürlich erst einmal Spass und führt hin und wieder dazu, dass wir Neues entdecken.
Wir fällen somit Entscheidungen, die uns weiterbringen, indem wir uns durch Videos weiterbilden oder uns einfach nur länger ablenken. So kann es durchaus auch eine falsche Entscheidung für uns sein, wenn wir herausfinden, dass eine Zeit lang wichtige Algorithmen auf Youtube so strukturiert waren, uns möglichst lang als Nutzer auf der Plattform zu halten, da die Programmierer von Youtube auf Basis der Auswertung von vorhandenen Nutzungsdaten wußten, welche Inhalte uns besonders reizen. Je mehr wir darüber wissen, wenn wir dessen gewahr sind und aufmerksam bei uns und unserer Prägung bleiben, unserem Charakter und unseren Entscheidungsraster treu bleiben, und wenn andererseits Transparenz und Nachvollziehbarkeit besteht, dann kann uns nicht nur Youtube und dessen algorithmische Innovationen unterstützen und entertainen, sondern auch andere Formen von KI oder besser Formen der algorithmischen Innovation. Sie bringen dann weitere Fortschritte in der Wissenstechnologien, die uns ohne weiteres sehr gut bei Entscheidungen unterstützen können.
Nehmen wir beispielsweise Kontexten wie die Raumfahrt: Wenn sich Menschen bald im All befinden, benötigen wir technische Systeme, die Informationen und Daten viel schneller als Menschen auswerten und nach vorher fest definierten Regeln schnell von uns vordefiniert Entscheidungen treffen können, damit ein Raumtransporter beispielsweise einem Asteroiden auszuweichen kann. Der Mensch trifft letztlich immer noch die Entscheidung und wir sind gut beraten, und dies auch weiter deutlich zu machen.
Ingo Rollwagen hat eine Professur für General Management an der Fresenius Hochschule/AMD inne. Ingo Rollwagen war Experte für Zukunftsfragen, Technologien und Bildung bei der Deutschen Bank Research und für die Alfred-Herrhausen Gesellschaft, das Internationale Forum der Deutschen Bank. Dazu kam eine mehrjährige Tätigkeit in der Zukunftsforschung der DaimlerChrysler AG (Society and Technology Research Group bei Herrn Prof Dr. Minx) in Berlin.
Er absolvierte ein Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaften, Politikwissenschaften und der Betriebswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin. Promotion (summa cum laude) an der Technischen Universität Berlin in Techniksoziologie zum Thema „Zeit und Innovation: Zur Synchronisation von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik bei der Entwicklung von Virtual-Reality-Technologien.“Seit mehreren Jahren ist er Lehrbeauftragter an der Technischen Universität Berlin am Institut für Technologie- und Innovationsmanagement (Prof. Dr. Gemünden) mit angewandten Forschungsseminaren zu den Themen, wie „Smart Home Technologies“ und „Education and Learning Technology Management“. Professor Rollwagen ist als Experte im Bereich Bildung, Wissenschaft und Forschung, Technikfolgenabschätzung, Branchenentwicklungen, Zukunftsforschung und Wissens- und Technologietransfer für Industrieverbände, außeruniversitäre Forschungsorganisationen die deutsche Regierung, verschiedene ausländische Regierungen, die OECD, die Europäische Kommission, sowie für gesellschaftliche Organisationen tätig.
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