T-Shirts für drei Euro, Pullis für fünf und eine Kinder-Hose für sieben Euro. Diese Preise sind bei zahlreichen Textil-Discountern in deutschen Innenstädten und in Einkaufszentren recht häufig zu finden. Die Billigtextilien sind das Produkt eines immer brutaler werdenden globalen Wettbewerbs, bei dem nicht nur ökologische und soziale Standards auf der Strecke bleiben, sondern dem auch eine Vielzahl deutscher Unternehmen zum Opfer gefallen ist.
Wissenschaftler der Universität Ulm und der Hochschule Reutlingen hoffen nun auf eine Trendwende – zumindest für die schwäbische Stadt Dietenheim. Mit 960 000 Euro fördert das Land Baden-Württemberg ein Reallabor der beiden Hochschulen zur nachhaltigen Transformation der Textilwirtschaft in dieser 6000 Einwohner kleinen Stadt mit großer Textil-Vergangenheit.
„Unser Projekt verknüpft zwei Perspektiven. Einerseits geht es um die Wiederbelebung der Textilstadt Dietenheim. Andererseits steht die nachhaltige Transformation der textilen Wertschöpfungskette im Mittelpunkt“, so Professor Martin Müller. Der Inhaber des Lehrstuhls für Nachhaltige Unternehmensführung an der Universität Ulm hat gemeinsam mit dem Textilwirtschaftsexperten Professor Matthias Freise und dem Handelsfachmann Professor Jochen Strähle von der Hochschule Reutlingen den erfolgreichen Antrag verfasst.
„Verwaiste Innenstadtflächen werden von regionalen Textilunternehmen genutzt, um die gesamte textile Wertschöpfungskette für den Kunden transparent und erfahrbar zu machen“, schildert Freise das Vorhaben. Die Idee: Gläserne Produktion und Design-Werkstatt arbeiten dabei Hand in Hand. Bereit stehen zur Realisierung zahlreiche mittelständische Textilhersteller aus der Region, die einen Großteil der Kette abdecken und sich – finanziert mit Eigenmitteln – eine Ansiedlung in der Dietenheimer Innenstadt vorstellen können. Die Firma Otto mit ihrer Garnspinnerei und -färberei ist bereits dort ansässig. Selbstverständlich für die beteiligten Firmen: die Einhaltung hoher sozialer und ökologischer Standards.
Zum Einsatz im Reallabor sind vor allem ausgewählte Bio-Materialien vorgesehen. Um weg zu kommen vom vermeintlich langweiligen, bieder-moralischen „Öko-Image“ sollen neue Vermarktungs- und Vertriebskonzepten entwickelt werden. Die beteiligten Psychologen und Medieninformatiker der Uni Ulm sollen die wissenschaftlichen Grundlagen für innovative Marketing- und Verkaufsstrategien legen – nicht zuletzt mit Hilfe neuer Medien.
Information und Emotion als Rezept
„Wir bauen bei der Kundenansprache beispielsweise auf eine Mischung aus Information und Emotion. Es geht ja auch darum, durch die Vermittlung eines bestimmten Lebensgefühls neue Milieus zu erschließen. Nicht nur der traditionelle `Öko´ soll sich angesprochen fühlen, sondern auch die verantwortungsvolle Managerin“, so Professor Jochen Strähle von der Fakultät für Textil & Design der Hochschule Reutlingen.
Die Firmen müssen heute mehr bieten als den Einsatz von Bio-Materialien. Geplant ist zum Beispiel, die Kunden am Designprozess zu beteiligen, um mit ganz individuellen Entwürfen besonders persönliche Stücke schaffen. Und nicht zuletzt das kreative Potenzial der Reutlinger und Ulmer Studierenden soll über Design-Werkstätten und Start-Ups ins Projekt einfließen. Im Antrag finden sich zudem Tauschbörsen, Reparaturwerkstätten und Recycling-Angebote, um die Lebensdauer der produzierten Textilien zu verlängern. „Unser gemeinsames Ziel ist es, das Bewusstsein der Konsumenten zu schärfen für hochwertige, umweltverträglich und fair produzierte Waren, um letztendlich das Kaufverhalten zu verändern“, so die Projektpartner. Der gesamte Verlauf des Reallabors wird übrigens wissenschaftlich begleitet, um die Transformationsprozesse ökologisch, ökonomisch und sozial evaluieren zu können – nicht zuletzt von Studenten aus dem Ulmer Masterstudiengang „Nachhaltige Unternehmensführung“.
Ringspinnmaschine in der Dietenheimer Garnspinnerei der Gebrüder Otto; Foto: Gebr. Otto/Claus Langer
„Nicht nur für die urbane Wiederbelebung von Dietenheim ist das Reallabor von großer Bedeutung. Das Projekt hat auch Modellcharakter für andere Regionen und Branchen“, glaubt Dietenheims Bürgermeister Christopher Eh, der auch den Gemeinderat und die zuständigen Planungsabteilungen der Stadt hinter sich weiß. Sollte die urbane Revitalisierung der Innenstadt gelingen, braucht es natürlich eine vernünftige Verkehrsplanung. Ein nachhaltiges Mobilitäts- und Stadtentwicklungskonzept ist ebenfalls Bestandteil des Antrags. Für den Erfolgsfall ist somit vorgesorgt.
Insgesamt stellt das zuständige Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (MWK) sieben Millionen Euro für sieben ausgewählte Projekte bereit, um den Beitrag der Wissenschaft für eine nachhaltige Entwicklung zu stärken. „Mit den Reallaboren ermöglichen wir eine neue Form des Wissenstransfers und greifen Themen auf, die für die gesellschaftliche Veränderung von zentraler Bedeutung sind“, so Forschungsministerin Theresia Bauer laut MWK-Pressemeldung.
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